Die Hand die damals meine hielt - Roman
mit ihrer Vorgängerin. Vier Mal so dick wie zu Innes’ Zeiten, gespickt mit Werbung, Kleinanzeigen und den Interviewenthüllungen von Fernsehstars, die Feld-Wald-und-Wiesen-Geheimnisse preisgeben. Den wenigen Rezensionen, die es überhaupt noch gibt, wird kaum Platz eingeräumt. Erst kürzlich wurde die neue Medea -Inszenierung am National Theatre in einer halben Spalte abgefertigt.
Ein Tisch in der Lagoon Café Bar (beziehungsweise Café/Bar oder Café-Bar) steht ungefähr an derselben Stelle, wo sich früher Lexies Schreibtisch befand - ein umfunktionierter alter Küchentisch, übersät mit Messernarben und Tintenklecksen. Die Tür ist eine andere, aber auch sie klemmt bei nassem Wetter. Der Kamin, den Innes, weil er die eisige Zugluft im Winter nicht vertragen konnte, mit Brettern vernagelt hat, wurde freigelegt, poliert, restauriert. Wie sich die Zeiten ändern. Er wird nicht als Feuerstelle genutzt, sondern eher als eine Art Hausaltar, in dem unzählige Kerzen brennen. Wem oder was dort gehuldigt wird, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Dass einige elsewhere -Regale überlebt haben, grenzt an ein Wunder, wurden sie doch 1960 von Laurence und Lexie alles andere als fachmännisch montiert. In einigen stehen die Bücher, die die Café/Bar ihren Gästen zur Verfügung stellt, in anderen tropfen die Gläser ab, nachdem sie aus der Spülmaschine gekommen sind. Innes’ Hinterzimmer mit den Bildern, dem Sofa und dem diversen Gerümpel ist heute eine Küche. Dort werden Panini überbacken, Kichererbsenmus angerührt und Oliven in kleine Schälchen gefüllt - die Speisekarte der Lagoon hat einen leicht mediterranen Touch; die Bedienungen sind bosnisch, polnisch und australisch. Innes wäre begeistert gewesen.
Von dem Tisch, der an der Stelle steht, wo Lexies Schreibtisch war, kann man auf die Bayton Street hinaussehen. Es ist ungewöhnlich kalt für Juli, der Regen, der schräg und grau auf den Asphalt prasselt, spritzt gegen die Scheiben. Die Tische auf dem Bürgersteig sind verlassen, eine vergessene Kaffeetasse tropft langsam voll. Die australische Kellnerin beziehungsweise »Barista«, wie sie laut ihrem Namensschild bezeichnet wird, hat eine alte Edith-Piaf-Platte
aufgelegt. Es ist früher Nachmittag, kurz nach dem Mittagsansturm. Und an dem Tisch, wo früher Lexies Schreibtisch stand, sitzt Ted.
Er kommt ziemlich oft hierher, denn er arbeitet gleich um die Ecke, in der Wardour Street. Er hat sich ein Panino mit Ziegenkäse und roter Paprika bestellt. Leise tupft er mit den Fingern einen Begleitrhythmus für Edith, und obwohl er den Tisch kaum berührt, sind die Vibrationen durch das Holz hindurch zu spüren. Er scheint auf die Stelle zu starren, wo früher Lexies Pinnwand hing - ein Sammelsurium aus Notizen, Fahnen, Listen, Ansichtskarten und Dias, mit dem sich außer ihr niemand auskannte. Aber natürlich sieht er nur in den Regen hinaus.
Der Kleine habe die letzte Nacht kaum geschlafen, hat er gerade erzählt. Was zumindest eine Erklärung dafür ist, dass er so aussieht, als ob er ein wenig neben sich stünde. Er trägt ein Hemd mit verdrehtem Kragen, einen Pullover mit ausgefranstem Ärmel.
»Es wird höchste Zeit, dass ihr dem Kind endlich einen Namen gebt«, sagt Simmy, der mit ihm am Tisch sitzt. »Sonst nennt ihr ihn immer noch ›der Kleine‹, wenn er schon zur Uni geht.«
Ted schmunzelt. Er zuckt mit den Schultern, und sein verdrehter Kragen hebt und senkt sich. »Vielleicht geht er ja gar nicht zur Uni.« Er beißt herzhaft in sein Panino.
Simmy knurrt. »Du weißt ganz genau, worauf ich hinauswill. Was denkt ihr euch eigentlich …«
»Nur damit du’s weißt«, nuschelt Ted mit vollem Mund. »Wir haben uns gestern Abend für einen Namen entschieden.«
»Tatsächlich?« Simmy ist so überrascht, dass ihm fast das Glas aus der Hand fällt. »Und für welchen?«
Ted deutet mit einer kreisenden Bewegung an, dass er erst zu Ende kauen muss.
»Einen unaussprechlichen finnischen?«, hakt Simmy nach. »Mit sieben Vokalen? Oder einen richtig langen wie James James Morrison Morrison Wetherby George Digsbums? Oder Ted? Ted, der Zweite?«
»Jonah«, sagt Ted.
»Nach dem mit dem Wal?«
»Genau.«
»Aber euch ist schon klar, dass er das jetzt bis an sein Lebensende zu hören bekommt?«
»Was? Das mit dem Wal?«
»Ja.«
»Daran wird er sich schon gewöhnen. Alle Namen rufen irgendwelche Assoziationen hervor. Auf jeden Fall sieht er aus wie ein Jonah. Und mir gefällt der
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