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Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number

Titel: Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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diese Falle tappten und nichtsahnend die giftigen Dämpfe einatmeten, während schon der Funke gelegt wurde, der sie alle in Stücke reißen würde. Als er sich dieses Bild in leuchtenden Farben ausmalte, tat er etwas, was er fast nie tat: Er lachte laut.
    Wenn nur seine Mutter erfassen könnte, wie humorvoll, wie schön, wie herrlich sein Plan war! Aber das war wohl zu viel verlangt. Außerdem, wenn die Polizisten zerfetzt wurden - in winzig kleine Stücke -, konnte er ihnen auch nicht die Kehle aufschlitzen. Und es drängte ihn sehr danach, ihnen die Kehle aufzuschlitzen.
    Nichts in dieser Welt war vollkommen. Es gab immer Vor- und Nachteile. Man musste das Beste aus dem Blatt machen, das einem zugeteilt wurde, und das Glas als halbvoll betrachten.
    So war nun mal die Realität.

47
    Willkommen in Wycherly
    Nachdem er die vorhersehbaren Einwände und Bedenken gegen seine beabsichtigte Fahrt beiseitegewischt hatte, ging Gurney zu seinem Auto und rief bei der Polizeidienststelle in Wycherly an, um Gregory Dermotts Adresse zu erfragen, da er bisher nur die Postfachnummer auf dessen Briefkopf kannte. Er brauchte eine Weile, um der diensthabenden Beamtin zu erklären, wer er war, und auch dann musste er noch warten, während die junge Frau mit Nardo telefonierte und sich die Erlaubnis holte, die Anschrift weiterzugeben. Wie sich zeigte, war sie das einzige Mitglied der kleinen Dienststelle, das nicht vor Ort war. Gurney gab die Adresse in sein GPS-System ein und machte sich auf den Weg Richtung Kingston-Rhinecliff Bridge.
    Wycherly lag etwas nördlich im mittleren Teil von Connecticut. Die Fahrt dauerte knapp über zwei Stunden. Während dieser Zeit war Gurney fast ausschließlich damit beschäftigt, sich Vorwürfe zu machen, weil er die Sicherheit seiner Frau in so eklatanter Weise außer Acht gelassen hatte. Dieses Versäumnis verstörte und deprimierte ihn derart, dass er schließlich verzweifelt versuchte, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Also machte er sich daran, die bei der Konferenz erarbeiteten wesentlichen Hypothesen noch einmal unter die Lupe zu nehmen.
    Die Vorstellung, dass der Mörder auf irgendeine Weise
eine Liste von mehreren tausend Personen mit zurückliegenden Alkoholproblemen zusammengetragen hatte - Personen, die aufgrund ihrer Vergangenheit als Trinker unter tiefsitzenden Ängsten und Schuldgefühlen litten - und dann eine Handvoll von ihnen mit seinem einfachen Zahlentrick in eine Falle gelockt, sie mit einer Serie unheimlicher Gedichte gequält und zuletzt auf ritualisierte Weise ermordet hatte … dieser gesamte Zusammenhang, so befremdlich er auch wirkte, schien Gurney nun vollkommen einleuchtend. Ihm fiel ein, dass Serienmörder in ihrer Kindheit häufig Gefallen daran fanden, Insekten und kleine Tiere zu quälen - zum Beispiel, indem sie mit einer Lupe Sonnenlicht bündelten, um sie zu verbrennen. Genau auf diese Weise hatte Jason Strunk, einer seiner berühmten Fälle, im Alter von fünf Jahren eine Katze geblendet. Verbrennen mit einer Lupe. Der Vorgang hatte eine beunruhigende Ähnlichkeit damit, ein Opfer an seine Vergangenheit zu erinnern und seine Ängste zu schüren, bis es sich vor Qualen wand.
    Ein Muster zu erkennen und die Teilchen eines Puzzles zusammenzusetzen - normalerweise war das ein Vorgang, der ihn begeisterte, aber an diesem Nachmittag im Auto fühlte es sich nicht so gut an wie sonst. Vielleicht war es der fade Nachgeschmack seiner Unzulänglichkeiten, seiner Fehlgriffe. Der Gedanke fraß an ihm wie Säure.
    Er konzentrierte sich oberflächlich auf die Straße, die Motorhaube, seine Hände auf dem Steuer. Seltsam. Er erkannte seine eigenen Hände nicht wieder. Sie sahen erstaunlich alt aus - eigentlich wie die Hände seines Vaters. Die kleinen Flecken darauf waren mehr und größer geworden. Doch wenn man ihm Fotos von einem Dutzend Händen vorgelegt hätte, hätte er seine darunter nicht identifizieren können.

    Er fragte sich, warum. Vielleicht werden Veränderungen, die sich allmählich vollziehen, vom Gehirn erst wahrgenommen, wenn die Diskrepanz eine entscheidende Dimension erreicht. Und vielleicht ging es sogar noch weiter.
    Ist es womöglich so, das wir vertraute Dinge bis zu einem gewissen Grad immer so sehen, wie sie früher waren? Hängen wir nicht nur aus schierer Nostalgie oder aus Wunschdenken an der Vergangenheit fest, sondern durch einen Kurzschluss der Datenverarbeitung in unseren neuronalen Schaltungen? Wenn sich visuelle Eindrücke zum Teil aus

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