Die Heidehexe - Historischer Roman
hegte der Ältere solche Ablehnung gegen ihn? Seit jeher wollte der Besserwisser ihn bevormunden, dachte nicht daran, den Befehl zur Verfolgung Isabellas aufzuheben, obwohl sie längst als Gräfin agierte. Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Dabei lag die Antwort auf der Hand. Vor Christians Geburt galt Ulrich als auserkorener Liebling von Vater und Mutter. Verhätschelt und vertätschelt, ungeniert den Schwestern vorgezogen.
Die nachgeborenen Brüder waren schwächlich und krank und hatten nur wenige Jahre gelebt. Und dann wurde Christian, der letzte Sohn des Fürstenpaares, geboren. Von Anfang an galt er als Sonnenschein des Schlosses. Eltern und Schwestern brachten sich um den kleinen Schreihals um, ertrugen geduldig seine Wutausbrüche, denen meistens charmante Liebesdienste folgten, denn Christian war bereits als Kind wetterwindisch gewesen.
Ulrich hatte sich mehr und mehr in sein Schneckenhaus zurückgezogen, ohne dass jemand davon Notiz genommen hätte. Ein einsames, verlorenes Wesen, das der plötzlichen Thronfolge nach des Vaters Tod nicht gewachsen war, und von seiner herrischen Frau zusätzlich unterdrückt wurde. Er nahm dem Bruder nicht übel, dass dieser das Regiment an sich riss. Es war ihm gleichgültig, wie ihn alles, im Grunde genommen, nicht sonderlich interessierte. Gefangen im Netz aus Schwermut und Lebensangst döste er den lieben, langen Tag dem Abend entgegen, wenn er endlich sein Lager aufsuchen und im Schlaf dem Weltenschmerz entfliehen konnte.
Diese überschwappende Gedankenflut stürzte bei den Worten des Kürassiers auf Christian ein. Verächtlich brüllte er hinter ihm her: „Wir sehen uns wieder, Greifsburger! Dann mache ich dich einen Kopf kürzer. Verlass dich drauf, so wahr ich Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel bin.“
„Er wird sich nie mehr in unserem Heer blicken lassen, Herzog“, besänftigte Richard Sander den aufgebrachten Herrscher.
„Ich hätte ihn gleich abknallen sollen wie einen tollwütigen Hund.“
„Ja, das hätt est du.“ Alwin ereiferte sich, statt die Wogen zu glätten. „Der Hexenjäger wird sich den Kaiserlichen anschließen und unsere Schlachtpläne verraten.“
Christian reagierte gereizt. „Warum hast du es nicht getan, Alwin? Immerhin ist es deine Schwägerin, um die es sich handelt.“
„Und um deine Mutter.“
„Streitet nicht“, sagte Isabella, die aus der Bewusstlosigkeit erwacht war, als die beiden eintrafen. „Ihr seid Freunde und dürft euch nicht wegen eines Unwürdigen in die Haare kriegen. Das will er doch nur. So, wie es kam, ist es gut. Ich hätte nicht ohne Begleitung durch die Stadt spazieren dürfen, trage die alleinige Schuld.“
Innerlich schüttelte sie sich vor Grauen ob der verwerflichen Tat des Kürassiers und seines Hurenbuben. Ihre Angst wuchs seit diesem Frevel ins Unermessliche.
Alwin legte wie selbstverständlich seinen Arm um Isabellas Schultern, strich ihr brüderlich durchs Haar.
„Kleine Gräfin, hab keine Angst mehr. Ich räche die Schandtat des Kürassiers. Ebenso unerbittlich, wie ich die Morde an meiner Mutter, meiner Schwester und Victors erster Braut rächen werde, sobald ich weiß, wer der Verruchte ist.“
Er dämpfte die Stimme. „ Es könnte Verräter im Heer geben. Ich traue hier nicht mehr allzu vielen. Aber dir will ich mein Herz ausschütten. Wir haben in Niedersachsen gewiefte Bürger mit viel Erfahrung in solchen Fällen. Victor hat sie im ganzen Land verteilt. Sie gehen von Tür zu Tür, durchsuchen Häuser von früher bereits straffällig Gewordenen oder Personen, die einen Groll auf unsere Familie hegten.“
Ui, dachte Isabella, da können sich die Ermittlungen aber lange hinziehen, denn weder der alte Graf noch seine herrische Gemahlin oder die eingebildete Schwester der Brüder waren so nderlich beliebt gewesen. Es gibt kaum einen ihrer Untertanen, dem sie nicht Unrecht angetan haben. Während das einfache Volk hungerte, lebten sie in Saus und Braus. Neid und Missgunst sind treffliche Ursachen für Bluttaten.
Natürlich gab sie ihre Gedanken nicht preis, wusste sie doch aus eigener Erfahrung, wie das Herz schmerzt, wenn die Mutter von Mörderhand getötet wird. Vermutlich wäre er längst irrsinnig, falls die Gräfin vor seinen Augen vom Mob aufgefressen worden wäre. Er hätte das nicht verwunden. Er nicht. Aber hatte sie es denn verwunden? Sie schüttelte den Kopf.
Auch Isabella sann Tag und Nacht über Vergeltung nach. U nd euer Vater oder
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