Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
gut. Marie vielleicht auch.«
Der Donner rollte wieder. Er klang von Mal zu Mal näher. Durch das Fenster erkannten die beiden in der Ferne schon einzelne Blitze am Himmel. Es sah wirklich unheimlich aus, wie die dunklen Wolken plötzlich hell aufleuchteten. Wer wusste schon, was der Abend noch für ein Unwetter brachte.
»Der Amtmann Josef Resenbach verdächtigt den Schmied Dietrich«, fuhr Ludolf ein wenig lahm fort.
»Da liegt er vielleicht gar nicht so verkehrt.«
»Aber er ist selbstgefällig, argwöhnisch und gehässig. Seinem Urteil ist nicht zu trauen.«
»Was weiß Marie? Weiß sie überhaupt etwas? Auf sie müssen wir ein wachsames Auge haben.« Agnes überlegte einen Moment und fuhr dann fort: »Sie kam im Dunkeln zurück. Wo war sie? Der Fischer vermutet wegen der fehlenden Boote, dass sie vor dem Schmied zurückkehrte. Was wollte sie drüben? Kuneke verfolgen? Oder ihren geliebten Dietrich?«
»Sie weinte, als sie zurückkam. Sagte das nicht der Fischer zu dir?«
»Vielleicht hatte sie Ärger mit ihrem Liebsten?«
»Mit Dietrich?«
»Oder einem anderen. Nach der Beschreibung der Nachbarn hättest allerdings selbst du sie zum Teufel gejagt.«
Ludolf lachte auf. »Danke für die Blumen. Also scheine ich in deinen Augen doch nicht so schlecht zu sein, wie du immer behauptest.«
Agnes grinste zufrieden. »Manche Dinge gönnt man nicht einmal seinen schlimmsten Widersachern. Selbst Marie sollte dieses Recht haben.«
»Was einen nicht umbringt, härtet ab. Wenn ich die nächsten Tage mit dir überlebe, kann mich keine Frau mehr schockieren.«
»Dass ich nicht lache! Wer hat hier wohl mehr zu leiden? Du oder ich?«
Die beiden schwiegen und schmunzelten.
Es donnerte wieder. Jetzt klang es schon recht nah. Agnes stand auf und ging vorsichtig zum Fenster. Sie schaute hinaus, betrachtete mit Sorge das Blitzen. Gewitter waren für sie eine Qual. Es Angst zu nennen, wäre untertrieben. Das laute, plötzliche Krachen des Donners war das eigentliche Übel. Man wusste nie, wann, wie stark und aus welcher Richtung der nächste Schlag kommen sollte. Es war unmöglich, sich darauf einzustellen. Sie konnte dabei weder schlafen noch sich mit irgendetwas anderem beschäftigen. Die Gedanken kreisten nur um den nächsten Donner. Im Stift fühlte sie sich dabei recht sicher. Die dicken, alten Mauern gaben ihr die Geborgenheit, die sie brauchte. Diese alte, morsche Hütte war aber alles andere als vertrauenswürdig. Ein richtiger Knall, und sie würde zusammenfallen. Agnes versuchte zu singen. Aber es wollte nicht gelingen. Ihr fiel nichts Fröhliches ein. Sie summte ein Kinderlied, verstummte aber nach ein paar Takten wieder.
Ludolf störte Agnes in ihren Gedanken: »Was will der Amtmann von Marie? Glaubt er etwas zu wissen, oder will er von seiner eigenen Schuld ablenken?«
»Möglich. Er tötet Kuneke und hängt es dann einem anderen an. Er löst den Mord und ist der Held des Tages.«
»Das könnte es sein: Marie hat ihn gesehen, als er Kuneke tötete. Das erklärt dann auch, warum sie geweint hat, als sie mit dem Boot zurückkam. Sie hat schlicht Angst, dass der Amtmann sie auch gesehen hat, und fürchtet jetzt um ihr eigenes Leben.«
Ludolf erhob sich, ging ebenfalls zum Fenster. Die wild zuckenden Blitze, das dumpfe Grollen waren für ihn ein erhabenes Schauspiel der großen Mächte der Natur. Dieselben Kräfte und Gewalten mussten am Werke gewesen sein, als die Erde, die Sonne und der Sternenhimmel entstanden waren. Wie schön wäre es, wenn er die Ursache für Blitz und Donner hätte ergründen können. Woher kam dieses grelle Licht? Dieser Donner? Die Griechen hatten sich vorgestellt, ihr Göttervater Zeus würde die Blitze aussenden. Bei den Germanen gab es den Donnergott, der seinen Hammer schwingt. Für die einfachen Leute mochte das ja ausreichen, nicht aber für einen Forscher. Der will die Gesetze kennenlernen, die Ursachen.
Agnes spielte unruhig mit einer Haarsträhne, zwirbelte sie um den Finger. Sie wünschte sich sehnlichst, dass das Gewitter schnell vorüberziehen würde.
Ludolf überlegte weiter: »Kuneke war bei der Nonne, kam aber nicht mehr zurück. Ihr Boot wurde im linken Weserarm gefunden. Ich bin mir fast sicher, dass ihr etwas auf der anderen Seite der Weser zugestoßen ist.«
»Ich tippe auf den Schmied Dietrich. Wir wissen, dass er in einem Boot hinübergefahren ist.«
»Wann ist er rüber? Vor ihr? Nach ihr? Wann kam er zurück? Hat ihn jemand gesehen? Hat er Kuneke
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