Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
stellen, die ihr auf der Seele lagen. Das alles war viel zu verworren. Sie sehnte sich nach ihrem Stift.
»Du siehst so enttäuscht aus, Liebes.« Hildegard stand auf, ging zu ihr hinüber und nahm sie in den Arm. Agnes nickte nur stumm. Es tat gut, jemanden zu haben, an den man sich anlehnen konnte. Der für einen da war, wenn man Hilfe brauchte. Bisher war das immer die Äbtissin gewesen. Aber wo sonst sollte sie hier Beistand finden?
»Ich würde dir gerne helfen, wenn ich könnte. Ich würde sehr viel darum geben, Kuneke heil wiederzusehen.«
»Was ist an dem Nachmittag noch vorgefallen? Ich meine, nach eurem Gespräch und der Beichte.«
»Wir haben uns noch ein wenig unterhalten. Als es dann Abend wurde, machte sich Kuneke auf den Rückweg, damit sie nicht im Dunkeln durch den Wald musste. Das ist alles.«
Die beiden Frauen standen eine ganze Zeit stumm im Raum und hielten sich gegenseitig im Arm. Es tat beiden gut. Die Tante unterbrach als Erste die Stille. »Aber lass uns doch lieber ein wenig nach draußen gehen und einen kleinen Spaziergang machen. Du musst auf andere Gedanken kommen. Erzähl mir doch noch ein wenig von zu Hause.«
Agnes stimmte zu.
Hildegard zeigte der Besucherin die Reste der alten Fluchtburg, des Klosters und der alten Kreuzkirche. Dann kamen sie zu der Wittekindsquelle. Nach der Legende befand sich der Sachsenführer Widukind im Gebirge auf der Flucht vor seinen Verfolgern. Erschöpft und fast verdurstend soll er den Übertritt zum Christentum gelobt haben, wenn Gott ihm ein Zeichen gebe. In diesem Moment scharrte sein Pferd mit den Hufen, und eine Quelle entsprang dem Felsen.
Die beiden Frauen sprachen über die Familie, ihre Freunde, die Arbeit im Stift und im Kloster und vieles andere. Langsam löste sich die Anspannung in Agnes. Die Verantwortung und der Ärger über Ludolf hatten sich in den letzten Tagen zu einem schier unüberwindlichen Berg aufgetürmt, der sie zu erdrücken drohte. Tante Hildegard half ihr, wieder zu sich zu finden. Sie hatte eine wunderbare Art, Hoffnung und Kraft zu vermitteln. Kein Wunder, dass die Frauen der Umgebung zu ihr kamen, wenn sie Hilfe brauchten.
Gegen Abend, noch bevor die Dämmerung begann, machte sich Agnes wieder auf den Weg zur Schalksburg. Sie versprach Tante Hildegard, ihr sofort Bescheid zu geben, wenn Kuneke gefunden war. Sie beeilte sich, noch im Hellen durch den Wald zu gelangen. Sie wollte keinesfalls den Pfad verfehlen, sich verlaufen oder am Hang stürzen.
Ein Gewitter
Ist es jetzt dicht?«
Agnes schaute zweifelnd nach oben. Jetzt, nachdem Ludolf fast den ganzen Nachmittag am Dach gearbeitet hatte, sah es auf jeden Fall deutlich besser aus. Trotzdem blinzelte an einigen Ecken immer noch der Himmel durch. Besonders am First waren kleinere Lücken übrig, weil sich Ludolf nicht recht auf die altersschwachen und vom Holzwurm zerfressenen Hölzer getraut hatte. Er hatte die Löcher gestopft, so weit seine ausgestreckten Arme reichten. Für einen Nichtfachmann fand er sein Werk ganz ansehnlich.
Inzwischen hatte sich der Himmel mehr und mehr zugezogen. Erst waren einige weiße Wolken erschienen, vereinzelt und klein, die dann einem riesigen Heer dunklerer Wolken Platz gemacht hatten. Diese bedeckten inzwischen das ganze Firmament. Es war düster geworden. Das verhieß nichts Gutes für den Abend. Die Luft wurde schwüler und stickiger, obgleich Wind aufgekommen war. In der Ferne hörte man das schwache, dumpfe Grollen eines heranziehenden Gewitters.
Agnes und Ludolf hatten eine Kleinigkeit zur Abendmahlzeit gehabt. Brot mit Schmalz, ein Stück Schinken und frisches, kühles Wasser. Sie tauschten ihre Erkenntnisse des Tages aus und saßen noch in Gedanken versunken am Tisch beisammen, auf dem eine kleine Öllampe ein wenig Licht verbreitete. In banger Erwartung hatte Ludolf ihr gestanden, sich gegenüber Pater Anno verraten zu haben, doch wider Erwarten hatte sich Agnes kein bisschen darüber aufgeregt. Es blitzte nur sehr verdächtig in ihren Augen. Kein Wunder; denn gleich danach musste sie eingestehen, dass auch sie nicht unentdeckt geblieben war und sie Tante Hildegard hatte einweihen müssen. Damit waren die Fronten wieder ausgeglichen.
»Eine ganz schön verzwickte Lage. Wir wissen nun schon eine Menge. Aber dieses Wissen bringt uns keinen Schritt weiter«, fasste Ludolf zusammen.
»Wir haben als Verdächtige den Amtmann, den Schmied, den Tuchhändler«, ergänzte Agnes.
»Die Magd dürfen wir nicht vergessen.«
»Na
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