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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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hatten mich fasziniert - sie fielen von den Fenstern auf die gegenüberliegende Wand, wurden im Verlauf des Morgens immer länger und wanderten über die vollgestellten Regale nach unten, von wo aus sie dann als gleichbleibende, jedoch bewegliche Formen über den Fußboden auf mich zugekrochen kamen. Zuweilen saß ihnen Kaha im Weg, hatte die Beine gekreuzt, die Palette auf den Knien und schrieb mit emsiger Schreibbinse, während mein Vater diktierte, und das Licht glitt seinen Rücken hoch und sickerte in seine volle, schwarze Perücke. Dann fühlte ich mich geborgen und konnte mich wieder mit meiner hölzernen Gans beschäftigen und mit dem kleinen Wagen mit den richtigen Rädern, die sich drehten, ihn mit meiner Sammlung hübscher Steine und leuchtend bemalten Skarabäen aus Ton beladen, und davor spannte ich meinen ganzen Stolz, ein kleines Pferd mit geblähten Nüstern und wilden Augen und einem
    Schwanz aus echtem Pferdehaar. Doch wenn sich Kaha näher an den Stuhl meines Vaters setzte, war mein Spielzeug vergessen, und ich sah verzaubert, ja, etwas verängstigt zu, wie sich die ordentlichen, hellen Vierecke allmählich zu Rechtecken dehnten, über die Regale krochen und mich blindlings suchten. Sie erreichten mich nie ganz, denn vorher rief meine Mutter immer zu Tisch, und als ich älter wurde, merkte ich natürlich, daß ihnen das auch nie gelungen wäre, weil die Sonne zu hoch über dem Haus stand. Später verbrachte ich den Morgen in der Schule, nicht mehr unter dem Schreibtisch meines Vaters, doch selbst als erwachsener Mann von sechzehn Lenzen und Offizier des Königs konnte ich nicht über diese kindlichen Ängste lachen.
    Heute war der Raum in das sachte Licht des frühen Nachmittags getaucht, und ich saß da und betrachtete meinen Vater in dem sanften Schein. Seine Hände und sein Gesicht waren tief gefurcht und wettergegerbt vom jahrelangen Reisen auf Karawanenstraßen in sengender Sonne, doch die Falten in seinem Gesicht zeugten von Humor und Wärme, und die Flecken und die gegerbte Haut schienen seine Kraft noch zu betonen. Er war ein ehrlicher Mann, kurz angebunden und geradeheraus, ein Meister im Feilschen auf dem umkämpften Markt für Arzneikräuter, doch er liebte seine Arbeit und hatte damit ein Vermögen gemacht. Er sprach mehrere Sprachen, darunter auch die der Hanebu und die eigentümliche Zunge der Sabäer, und bestand darauf, daß die Führer seiner Karawanen zwar die ägyptische Staatsbürgerschaft hatten, jedoch aus dem Volk stammten, mit dem er Handel trieb. Wie die Priester gehörte er keiner Klasse an und wurde daher in allen Gesellschaftskreisen empfangen, doch in Wahrheit war er von niederem Adel, was ihm aber nicht sonderlich viel galt, denn er hatte sich, wie er sagte, den Titel nicht selbst verdient. Dennoch setzte er seinen Ehrgeiz in mich und war stolz auf die verwickelten Verhandlungen, mit denen er die Tochter eines bedeutenden Edelmannes als künftige Ehefrau für mich gewonnen hatte. Jetzt lehnte er sich zurück, strich sich mit der beringten Hand über den kahlen Schädel, an dem letzte graue Haare zwischen seinen Ohren einen Halbkreis bildeten, und wölbte seine buschigen Brauen.
    „Nun?“ half er nach. „Was hältst du von Nubien? Nicht viel anders als unsere gemeinsame Reise zu den Sabäern, nicht wahr? Sand und Fliegen und große Hitze. Bist du gut mit dem königlichen Herold ausgekommen?“ Er lachte. „Nein, und ich kann es dir an der Nasenspitze ablesen. Und das alles für einen Offizierssold. Wenigstens lernst du im Heer dein Temperament zu zügeln, Kamen, und das ist gut so. Ein einziges grobes Wort gegenüber dem Diener unseres Pharaos, und schon wirft man dich hinaus.“ Dabei klang Bedauern durch, und ich mußte grinsen.
    „Ich habe nicht die Absicht, mich aus dem Haus werfen zu lassen, geschweige denn aus dem Tempel“, sagte ich. „Nubien war langweilig, der Herold ein reizbarer Mensch, und die ganze Reise ohne Zwischenfälle. Aber immer noch besser, als Tag für Tag auf einem Esel zu hocken, fast vor Durst zu sterben und sich zu fragen, ob die Räuber der Wüste angreifen und uns alle Güter rauben, um die wir so hart gefeilscht haben, und zu wissen, daß wir das in ein paar Monaten schon wieder tun müssen.“
    „Falls du in einer der Grenzfestungen postiert wirst, wie du in deiner Dummheit anstrebst, bekommst du ein gerüttelt Maß an Hitze und Langeweile“, gab er zurück. „Wem kann ich mein Geschäft vererben, wenn ich sterbe, Kamen? Etwa

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