Die Herzen aller Mädchen
seins? Sie betrachtete das Telefon und dachte all das und ging nicht dran. Stattdessen setzte sie sich auf ihr Bett zu den Akten und suchte Anna Oberhubers Telefonnummer aus den Papierbergen. Und brachte die Bettelei ihres Handys zum Schweigen, indem sie es einfach anderweitig benutzte.
Es war schwierig, Anna Oberhuber zu erklären, wer sie war und was sie wollte, denn inzwischen war es halb zehn und Oberhuber war misstrauisch und hatte spürbar genug von der Polizei. Sie wollte auch nicht glauben, was Bettina ihr erzählte. »Des is fei ein Trrick«, sagte sie abweisend. »Nein«, sagte Bettina. »Wir konnten einen Beweis finden. Einen Fingerabdruck. Sie brauchen keine Anklage mehr zu befürchten. Sie sind außer Verdacht. Georg Krampe hat die Bombe gebaut, das ist sicher. Er hat den Namen und die Adresse Ihrer Mutter darauf geschrieben. Das war das Irreführende. Wir dachten, diese Anschrift sei der Absender.« Sie hielt kurz inne. »Hat die Familie Krampe Ihnen je Geld angeboten?«
Oberhuber schniefte. »Hörrn Sie mal! Glauben Sie, wir sind Erprresser?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Bettina nüchtern. Plötzlich argwöhnte sie, dass dieses Gespräch ein Misserfolg werden würde. Die selbstmitleidige Stimme der Wahrsagerin reizte sie weit mehr, als sie erwartet hatte, und das alte Spiel aus Schmerz zufügen (»Erzählen Sie mir von Ihrer armen toten Schwester – was war sie für ein Mensch?«) und Informationen abgreifen (»Was genau ist eigentlich passiert damals?«) war Bettina mit einem Mal zuwider. Nicht, dass sie Skrupel gehabt hätte. Im Gegenteil: Sie mochte nicht die Erlöserin sein. Nicht für Oberhuber. Diese Frau hatte ein Leben lang Spuren ausgelegt und wartete vermutlich schon seit Jahren auf den einen Menschen, der sie alle lesen konnte. Der nun den Knall der Gerechtigkeit erzeugen würde, irgendwie. Diese Person wollte Bettina nicht sein. Andererseits brannte sie darauf, zu erfahren, was passiert war. »Wissen Sie«, sagte sie darum in das Schmollen, zu dem Oberhuber nun Zuflucht genommen hatte, weil es ums Geld ging, »ich kann Ihnen helfen. Ich weiß, dass Ihnen und Ihrer Familie großes Unrecht zugefügt worden ist, doch Sie müssen sich mir anvertrauen, damit wir etwas dagegen unternehmen können.« Nie hatte sie diesen Satz mit so wenig Leidenschaft gesagt.
»Was war denn mit der Bombe?«, fragte Oberhuber ein wenig lauernd. Und Bettina wusste, dass die Frau nun reden würde.
* * *
Lisa träumte. Sie hatten gemeinsam am Meer gesessen, ganz weit draußen Richtung Guardapasso, um mal allein zu sein und miteinander zu sprechen. Doch natürlich war das Weib nachgekommen. Mitsamt seiner Brut. Diese Frau stellte sich hin und schrie und man konnte ihr nicht entkommen, schon gar nicht an einem Strand, der kilometerweit zu überblicken war und die Füße schwer machte wie Blei. Schließlich war Georg aufgestanden und hatte die andere am Arm gepackt und fortgezogen. Schimpfend, ungeduldig, doch bei ihr. Auch die Mädchen wollten ihre Mutter nicht verlassen. Sie liefen hinterher und murrten und jammerten dabei. Da schickte Georg sie kurzerhand zu Lisa.
Und da saß sie dann. Mit den Gören der Anderen.
* * *
»Georg Krampe«, sagte Bettina ins Telefon, »fühlte sich von Ihnen belästigt. Sie schickten ihm Postkarten mit Anspielungen auf den Tod Ihrer Schwester. Diese Geschichte war sehr hässlich. Wenn das rausgekommen wäre – der Skandal hätte ihn vernichten können.«
»Nicht den Georrg«, sagte Oberhuber.
»Er hat es so gesehen«, sagte Bettina.
»Seine Frrau war es«, sagte Oberhuber und begann zu weinen. »Dabei hat der die doch nie geliebt. Er hat sie in den Flitterwochen betrrogen! Brraucht man mehr Beweise? Er war bloß feig und hat sich net getrraut, sie zu verlassen. Meine Mutter wär für ihn da gewesen. Trrotz allem!«
»Was war seine Frau?«, fragte Bettina.
»Was Sie da fei erzähln, der Georrg hat doch net wirrklich eine Bombe für uns gebaut.«
»Doch.«
»Aber er ist schon so lang tot«, schniefte Oberhuber.
»Eine gut gemachte Bombe hält ewig, wenn man sie nicht zündet. Dies war eine super gemachte Bombe. Die Experten nannten sie zu schade zum Hochgehen.«
»Aber wieso …?«
»Sie haben Herrn Krampe bedrängt«, sagte Bettina trocken. »Er konnte sich nicht wehren, nicht mal in einem Roman, denn er musste sich jeder öffentlichen Anspielung enthalten. Also ist er in seinen Keller gegangen und hat sich Ihren Tod beim Bombenbauen ausgemalt. Er
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