Die Herzensbrecherin: Roman (German Edition)
brutal.
Trotzdem kündigten nur wenige Mitarbeiter, und manche nahmen sogar seine demütigenden, ätzenden Strafpredigten hin, die zumeist in aller Öffentlichkeit stattfanden. Er vermittelte ihnen das Gefühl, sie hätten in ihrem Leben eine Mission zu erfüllen, sie wären wie Soldaten im letzten Kreuzzug des zwanzigsten Jahrhunderts. Und sogar die Jungs, die ihn hassen gelernt hatten, überschlugen sich, um sein Wohlwollen zu erringen. Die Stirn gerunzelt, betrachtete Susannah die jungen, strahlenden Gesichter, jedes einzelne Wort saugten sie förmlich auf. Um Sam herum hatte sich die Aura einer Heldenverehrung gebildet, die sie beunruhigte.
Für das Geschäft mochte das gut sein, für ihn selbst nicht.
Jetzt bemerkte er ihre Anwesenheit und musterte sie, verärgert über die Unterbrechung. Seine Züge hatten sich früher stets gemildert, wenn er ihr begegnet war. Wann hatte sich das zu ändern begonnen? Manchmal glaubte sie, es wäre schon beim Begräbnis ihres Vaters geschehen.
Sie wies zur Küche im Hintergrund und bedeutete ihm, sie würde ihn dort erwarten. Ohne die Geste zu erwidern, wandte er sich wieder zu seinem Publikum. Sie straffte die Schultern, in würdevoller Haltung setzte sie ihren Weg fort.
Kurz bevor sie die Küche erreichte, traf sie eine Frau mit zwei kleinen Kindern, die zur großen Cafeteria gingen. Alle waren mit Passierscheinen ausgerüstet. Am Arm der Mutter hing ein Picknickkorb. Diese Szene vertiefte Susannahs Depression. So etwas sah sie nicht zum ersten Mal. Immer wieder machten SysVal-Angestellte so lange Überstunden, dass die Partner – für gewöhnlich Ehefrauen – mit den Kindern auftauchten, um wenigstens die Imitation eines Familiendinners zu organisieren. Da SysVal nur Workaholics einstellte, beeinträchtigte die lange Arbeitszeit das Familienleben – was Sam in seiner utopischen Vision von einem grandiosen Konzern nicht berücksichtigt hatte. Aber er fand Familien ja auch nicht wichtig. Susannah berührte ihren Bauch und spürte die Leere in ihrem Innern. Wie lange würde er ihre drängende Sehnsucht nach einem Kind noch ignorieren? Wenn sie auch die Vizepräsidentin von SysVal war – sie betrachtete sich immer noch als Frau.
In der Küche angekommen, nahm sie einen Joghurtbecher aus dem Kühlschrank. Als sie ihn öffnen wollte, verharrte sie in der Bewegung, und sie kniff die Augen zusammen. Wie konnte sie ihre Ehe retten? In den vergangenen Jahren hatte sie Sam leider schon zu oft als Feind gesehen, noch einen Mann, den sie zu erfreuen hatte, der ihr
ständig eine Liste von zu erfüllenden Qualitäten vor die Nase hielt. Und allen musste sie gerecht werden.
Jetzt stürmte er zur Tür herein. Entnervt strich er durch sein kurzes schwarzes Haar. »Hör mal, Susannah, du musst dich unbedingt noch einmal an die Marketing-Abteilung wenden. Von dieser Scheiße habe ich die Nase voll. Entweder engagieren sie sich für den Wildfire – und zwar total -, oder sie schleppen ihre Ärsche zu Apple rüber. Wie eine gottverdammte Bande alter Weiber ...«
Wortlos ließ sie seine Schimpfkanonade über sich ergehen. Am nächsten Morgen würde er zweifellos in die Marketing-Abteilung stürmen und einen seiner berühmtem Wutanfälle kriegen. Danach war es ihre Aufgabe, hinter ihm die Wogen zu glätten. Er war zwar nun dreißig, aber in vieler Hinsicht nach wie vor ein Kind.
Ermattet sank er in einen Sessel. »Bring mir eine Cola.«
Susannah öffnete den Kühlschrank und nahm eine Dose von seinem Privatvorrat. Als sie den Verschluss öffnete, zischte es. Sie stellte die Dose vor Sam auf einen kleinen Tisch. Dann neigte sie sich vor und streifte seinen Mund mit einem sanften Kuss. Seine Lippen fühlten sich kühl und trocken an. Dass sie nicht leidenschaftlich glühten, erstaunte Susannah jedes Mal, wenn er seinen Untertanen einen Vortrag gehalten hatte. Sie begann seine verkrampften Schultermuskeln mit ihrem Daumen zu massieren. »Warum nehmen wir uns am Freitagabend nicht früher frei und fahren nach Monterey? Dort gibt’s einen Gasthof, von dem ich gehört habe. Private Cottages, Aussicht aufs Meer ...«
»Keine Ahnung. Vielleicht.«
»Ich glaube, es würde uns beiden gut tun, wenn wir mal eine Weile von hier wegkämen.«
»Ja. Wahrscheinlich hast du Recht.«
Trotz seiner Zustimmung wusste sie Bescheid – im Grunde wollte er das nicht. Er ernährte sich geradezu vom rasanten
Tempo der Firma. Sogar daheim dachte er pausenlos nach, rackerte sich ab, oder er machte
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