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Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber

Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber

Titel: Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Janssen
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Ärmel eng geschnitten. Wenn sie kein Juwelencollier und keinen mit Edelsteinen besetzten Kragen trug, war der Ausschnitt ihres Kleides mit Stickereien oder Perlen verziert gewesen. Im Nachhinein wurde ihr klar, dass sie wie ihr eigenes Standbild ausgesehen hatte. Wären die satten Farben nicht gewesen, hätte sie wie eine Marmorstatue gewirkt. Solange sie als Symbol des Herzogtums galt, hatte das seine Berechtigung gehabt – ihr Inneres hatte keine Rolle gespielt. Doch nun war es ihre innere Stärke, die sie zeigen wollte. Während der Reise hatte sie lange und gründlich über diese Frage nachgedacht und beschlossen, dass sie die Kleidungsstücke durchsehen musste, die sie bei sich hatte.
    Sylvie hatte einen Koffer nach dem anderen auf das Schiff gebracht, bis Kommandant Leung erklärte, dass sie keinen weiteren Ballast mehr benötigen würde. Selbst in Camilles geräumiger Kabine war nicht genügend Platz, um all die Kleider auszubreiten, sodass zwei grinsende Matrosen mit einer eilends zusammengebauten Konstruktion aus Seilen und Rollen die Koffer an Deck hieven mussten. Dort übernahm Sylvie das Kommando über eine bunt zusammengewürfelte Gruppe Seeleute, bestehend aus Männern und Frauen, die die verschiedenen Kleider und Reitkostüme hochhalten mussten, damit Camille sie genau betrachten konnte. Es war verwirrend, aber auch amüsant, ein rot-gelbes Reitkleid mit einem Besatz aus goldfarbenem Biesen in verschlungenen Mustern zu betrachten, um dann aufzublicken und festzustellen, dass über dem Ausschnitt das Gesicht eines alten bärtigen Matrosen mit einer speckigen Mütze aufragte.
    Henri, der hinter Camille herging, lachte laut auf, wenn sich ihm ein solcher Anblick bot, und befragte die Seeleute in heiterem Ton, welches Kleid ihnen als passend erschiene, wenn es darum ginge, in die Takelage zu klettern, den Anker über Bord zu werfen oder einen Sturm zu überleben. Camille beobachtete seine anmutigen Handbewegungen, die von dem schweren Goldring unterstrichen wurden, den er an der linken Hand trug. Sie erinnerte sich, wie sie in der vergangenen Nacht zu ihm hinuntergeblickt und gesehen hatte, wie seine Hand ihre Hüfte umklammert und der Ring dabei matt geglänzt hatte.
    Henri hatte sich verändert. Ebenso wie sie. Und keines der Kleider schien ihr zu ihrem neuen Ich zu passen, sie sahen genauso aus wie sie in ihrem früheren Leben. Ungeduldig blickte sie zu Sylvie hinüber, die an der Reling lehnte und an einem trockenen Brotkanten knabberte, um ihre Seekrankheit zu mildern. Sylvie hatte ihr Bestes getan, aber Camille hatte sie nicht gebeten, völlig neue Kleider mitzunehmen. Sie hatte sie packen lassen, wie sie es normalerweise auch tat. Kurz vor der Abreise waren Überlegungen zu Komplotten und Kriegen wichtiger erschienen.
    Sie konnte nicht länger als statuengleiche Herzogin auftreten. Es war immer noch nötig, dass sie die Blicke auf sich zog und sich von der Masse abhob. Sie musste auf den ersten Blick als die Herzogin zu erkennen sein, auch aus der Ferne. Dennoch wollte sie sich klar vom Herzog unterscheiden. Sehr bald schon würde ihr riesiger Bauch natürlich eine Verwechslung unmöglich machen, dachte sie mit leichtem Widerwillen, aber vorerst war ihre Schwangerschaft weniger wichtig als das Bild von Herrschaftswillen und Entschlossenheit, das sie bieten musste. Sie war nicht nur ein Gefäß, in dem der nächste Regent des Herzogtums heranwuchs.
    Henri war zu Sylvie hinübergeschlendert und hatte ihr einen Schluck aus seinem Wasserbecher angeboten. Seine in eleganten Stiefeln steckenden Füße hatte er weit auseinander auf die Planken gesetzt, wodurch seine geschmeidigen Hüften und die Leichtigkeit, mit der er die Bewegungen des Schiffs ausbalancierte, besonders gut zur Geltung kamen. Sylvie war immer noch blass und wirkte durch ihre anhaltende Übelkeit kränklich. Sie trug dieselbe lederne Reithose, die sie während eines Großteils der Reise angehabt hatte, allerdings hatte sie sich an diesem Tag nicht die Mühe gemacht, ihre Brüste zu bandagieren, sodass niemand sie für einen Mann gehalten hätte. Camille erinnerte sich an Sylvie mit auf Hüfthöhe hängenden Pistolen, dann an Madame Gisèle mit ihrem sichelförmigen Dolch und ihrer unübersehbaren Autorität und schließlich an Kommandant Leungs geschorenen Kopf und die rote Schärpe, durch die jede ihrer Bewegungen betont wurde.
    “Vielen Dank”, sagte sie zu den an Deck versammelten Seeleuten. “Bitte legt die Kleider zurück in die

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