Die Hexe und der Herzog
Bewegung und beschwor etwas in Kramer herauf, was er am liebsten für immer vergessen hätte.
Die Mindelheimerin hatte sie längst als Komplizin denunziert, doch Agnes wollte und wollte nicht gestehen, welchen Qualen auch immer man sie aussetzte. Gremper begann allmählich unruhig zu werden, Bürgermeister Gäldrich, bislang ein wackerer Unterstützer des Prozesses, warf zweifelnde Fragen auf, und selbst der Henker Moritz Hauser schien auf einmal zu zögern, als Kramer ihn zu neuen Handhabungen aufforderte.
»Die Birne!«, verlangte er und erschrak selbst, wie rau seine Stimme klang. Bei den Predigten in Liebfrauen und St. Jodok vor wenigen Wochen war sie noch tief und geschmeidig gewesen, ein wahrhaft göttliches Instrumentarium, mit dem er die Verstockten wachgerüttelt und den Verblendeten die Augen geöffnet hatte. Zu Dutzenden waren sie zu ihm geströmt, hatten freimütig von den Hexentaten ihrer Verwandten und Nachbarn berichtet, mit dem beachtlichen Erfolg, dass innerhalb kürzester Zeit vier weitere Frauen verhaftet und vernommen werden konnten.
»Aber sie ist doch so schwach«, hörte er den Schinder zu seiner Verblüffung antworten. »Den Mund kann sie kaum noch aufmachen. Wenn ich ihr jetzt auch noch die Zunge zerfetze, wird sie womöglich gar nicht mehr antworten können.«
»Dann stopf ihr die Birne ins Loch!«, bellte Kramer. »Denn gestehen wird sie, so wahr mir der Heilige Vater den Auftrag zur Austreibung all dieser Dämonen gegeben hat.«
Sein Körper begann zu kribbeln, als er zusah, wie Hauser und sein Helfer Agnes’ weiße Schenkel gewaltsam spreizten und eine eiserne Zange an ihrem Geschlecht ansetzten. Die Gefolterte stieß einen gellenden Schmerzensschrei aus und bäumte sich auf.
Ja, sie sollte, sie musste dafür büßen, dass sie ein sündiges Weib war, das andere zur Sünde verführte! Kramers Erregung steigerte sich ins schier Unermessliche. Er hatte Angst, vor Wollust zu zerbersten, und wusste sich nicht anders zu helfen, als unter seine Kutte zu greifen und sich auf der Stelle Erleichterung zu verschaffen.
Dann sackte Agnes plötzlich zusammen und rührte sich nicht mehr.
»Sie hat aufgehört zu atmen, Pater«, hörte er den Schinder kläglich sagen. »Was sollen wir jetzt tun?«
»Weil du dein Handwerk nicht verstehst und aus Dummheit viel zu weit gegangen bist, du hirnrissiger Idiot! Jetzt müssen wir die anderen hart hernehmen, um endlich alle Hexen in der Stadt aufzuspüren.«
»Wollen wir dann gleich morgen früh mit Elisabeth Frauen dienst beginnen?« Hauser klang unterwürfig und schien sich für seine Unbeherrschtheit zu schämen.
Elisabeth .
Der Name traf Kramer wie ein Fausthieb. Es gelang ihm kaum noch, sich auf den Beinen zu halten, denn auf einmal wusste er, warum diese verstockte Hexe soeben vor seinen Augen ohne Geständnis zugrunde gegangen war.
Weil er sich schwer versündigt hatte.
Deshalb hatte der Herr ihn auch die ganze Zeit über mit Blindheit gestraft, jetzt aber war er dank Gottes unendlicher Güte mit einem Schlag wieder sehend geworden. Wie rasend drehten sich seine Gedanken im Kreis. Am liebsten hätte er alles lauthals herausgeschrien, so erleichtert fühlte er sich, weil alles auf einmal einen Sinn ergab.
Die schwarzen Haare.
Der Name Els.
Die Teufelssamen.
Der verderbte Balg, der ihm die Krankheit übertragen hatte.
Alles Zeichen des Allmächtigen.
Die Hand Gottes hatte ihn ohne Umwege direkt zu jenem Hexennest in Innsbruck geführt, damit er es für alle Zeiten ausräuchere. Er musste zusehen, dass er die Angelegenheit hier in Ravensburg einem raschen und effizienten Ende zuführte. Denn was längst wirklich auf sein Eingreifen wartete, lang weit entfernt jenseits des Fernpasses am Fuß der hohen Tiroler Berge.
»Pater? Seid Ihr noch da?«, rief der Henker auf der anderen Seite des Schlitzes. »Wir schaffen sie jetzt hinaus.«
»Ich komme«, rief Kramer und stieß die Tür kraftvoll auf. »Und merkt euch eines, ihr widerlichen Geschöpfe der Finsternis: Ihr und der Herrscher der Hölle habt mehr denn je mit mir zu rechnen!«
Den Elementen hatte sie bereits gehuldigt, so wie der Johannitag es verlangte: ein paar Weizenkörner für das Herdfeuer, einige für das Wasser, das sie eigens letzte Nacht aus der Sill geschöpft hatte, ein paar Körner für die fruchtbare Erde. Als Wilbeth gerade vor das Haus getreten war, um als Letztes auch der Luft ihren gebührenden Anteil zukommen zu lassen, sah sie die Spiessin auf sich zukommen.
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