Die Hexe und der Herzog
werde ich niemals genug bekommen. Wann immer du einen Wunsch hast, Lena, heraus damit!«
Ein Lächeln erschien auf Lenas Gesicht. »Es gäbe da schon etwas, Euer Hoheit«, sagte sie. »Etwas, was mich sehr glücklich machen würde.«
»Rede!«
»Ich hab meine Leute schon so lange nicht mehr gesehen. Und mein kleiner Vetter war noch dazu krank. Wenn ich also für eine Nacht nach Hause könnte …«
»Eine Nacht und einen ganzen Tag. Worauf wartest du noch? Vor morgen Abend will ich dich hier nicht wieder sehen!«
Kaum hatte sich das Tor der Hofburg hinter ihr geschlossenen hörte sie bereits die Schritte, die ihr folgten. Nicht jetzt!, dachte Lena und ging ein wenig rascher. Bitte nicht heute Abend, wo ich endlich wieder zu Sebi, Els und Bibiana kann!
Einen Augenblick blieb sie stehen, zog das Umschlagtuch enger um sich. Alles war ruhig und menschenleer, kein auffälliges Geräusch zu hören. Doch kaum ging sie weiter, klangen erneut die genagelten Tritte in ihren Ohren.
Was sollte sie tun?
Angst stieg in ihr empor. Würde Kassian sie packen und irgendwohin schleifen? Was könnte sie ihm anbieten, um seine Wut zu lindern? In seinen Augen war sie doch die Verräterin, der er seinen Rauswurf und Abstieg zu verdanken hatte – und in gewisser Weise war es ja auch so gewesen.
Lena ging nun langsamer, und auch die Schritte hinter ihr verlangsamten sich entsprechend. Bis zum »Goldenen Engel« war es noch ein ganzes Stück. Falls ihr Verfolger versuchte, sie auf halber Strecke in die Enge zu treiben, war es vielleicht besser, ihm zuvorzukommen.
Lena wurde noch langsamer. Er tat es ihr gleich. Plötzlich hielt sie inne und drehte sich mit einem Ruck um.
»Du?« Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen. »Um ein Haar hättest du mich vor Angst um den Verstand gebracht!«
»Wusste gar nicht, dass du so furchtsam bist«, erwiderte Niklas, der in einen dunklen Umhang gehüllt war und seine Laute bei sich hatte.
»Was fällt dir ein, mir wie ein gemeiner Räuber hinterherzuschleichen?«
»Was sonst sollte ich tun, um zu erfahren, wohin du so spät noch gehst? Wenn man dich fragt, bekommt man ja doch nur eine schnippische Antwort.«
Was ganz allein an dir liegt, dachte Lena, während sie ihn stumm ansah. An einem Tag raunst du mir die schönsten Verse ins Ohr, und am nächsten tust du so, als ob du mich kaum kennst. Ich hab keine Lust, dein Spielzeug zu sein, Niklas.
»Es wird dir doch nicht etwa die Sprache verschlagen haben?«, fragte er lachend. »Komm schon, Lena, es war doch bloß ein Scherz!«
Sie drehte sich um und setzte ihren Weg fort. Niklas wich nicht mehr von ihrer Seite.
»Also, wohin?«, fragte er.
»Nach Hause«, entgegnete sie knapp.
»Du willst zum ›Goldenen Engel‹? Dann kann ich ja endlich einmal deine Leute kennenlernen!«
Sie blieb stehen, funkelte ihn zornig an. »Ein falsches Wort, und du kannst etwas erleben! Els ist sehr streng …«
»Deine Mutter?«, fiel er ihr ins Wort.
»Meine Tante. Sie hat mich aufgezogen, und es passt ihr nicht, dass ich bei Hof arbeite. Wenn du also etwas Verkehrtes von dir gibst, wirst du es bitter büßen.«
Lena stapfte weiter.
»Meine Lippen sind verschlossen«, sagte Niklas. »Du kennst mich doch! Vielleicht kann ich die Frau Tante ja mit einem Ständchen erfreuen?«
Lena schwieg und ging noch schneller, bis sie reichlich atemlos das Gasthaus erreicht hatten. Wein- und Bierdunst schlug ihnen entgegen, als Lena die Tür öffnete. Viele der Tische waren besetzt, und die Zecher schienen schon tief in ihre Becher geschaut zu haben. Ganz hinten, neben der Küche, in der Bibiana werkelte, schlief Sebi auf einer Bank, erhob sich aber schlaftrunken, als Lena langsam näher kam. Ein winziges Lächeln erhellte sein Gesicht, dann schaute er furchtsam zu Niklas.
»Brauchst keine Angst zu haben, Kleiner!« Der Spielmann lachte. »Magst vielleicht eine meiner Weisen hören?«
Er legte den Umhang ab, nahm die Laute und begann zu spielen und zu singen. Zuerst übertönten ihn die Stimmen der Zecher noch, doch als er unbeirrt weiterfuhr, wurden sie leiser und leiser, bis schließlich alle verstummt waren und andächtig lauschten.
Ich lieb dieser Augen schwarze Nacht,
Die mich um den Verstand gebracht.
Wollt sie, sollt sie, täte sie und käme sie,
Nähm meinem Herzen die sehnsuchtsheißen, harten Schmerzen, Und ein weißes Brüstlein angeschmiegt,
Gleich wäre das schnöde Trauern mir versiegt …
»Weiter!«, schrie einer der Männer. »Du singst ja
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