Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
Zukunft zu finden, ließ ich mich am Rand der Pferdekoppel ins Gras nieder, befreite mich von meinen lähmenden Sorgen und breitete dann im Geist mein bisheriges Leben vor mir aus. Das ich, soweit meine Erinnerung zurück reichte, behütet hinter Klostermauern zugebracht hatte. Allerdings war mir dort auch höhere Bildung, sogar eine fundierte Berufsausbildung zuteil geworden. Was aber konnte ich jetzt mit ihr anfangen? - Nichts. Denn als Heilköchin kann ich mich nirgends bewerben, da sich mein Diplom sicher schon in den Händen des Hildesheimer Abtes befand. Über welches Können verfügte ich außerdem? Spöttelnd zählte ich auf: Ich bin eine flotte Rechnerin, eine Allspachenbeherrscherin und eine gute Kräutersammlerin, ha! Wieder ernst, strich ich heraus, ich bin Köchin, ausgebildete Köchin. Obschon ich auch für diese Ausbildung keinen Nachweis vorlegen könnte. Aber womöglich fragten die Gastwirte oder Gutsherren beim Einstellen einer Köchin nicht nach ihrem Zeugnis. War dieser Gedanke naiv? Sei’s drum, wehrte ich ab, da mir plötzlich deutlich wie nie wurde, dass ich jedwede Bewerbung nur mit einem ansehnlichen Gesicht antreten kann, diese Tatsache hat vorab für mich im Vordergrund zu stehen.
Nur noch vier Tage bis Neumond, dem Ende der Kur. Danach noch zwei, drei Tage, und die Allergie wird abgeklungen sein. Ärgerlich nur, dass ich keinen Handspiegel mitgenommen hatte, und das hiesige Aussiedlerkloster besaß nirgends Scheiben, in denen ich mich notdürftig hätte spiegeln und die Rückbildung meiner Narben hätte verfolgen können. Eins allerdings fühlte ich mit den Fingern, an meiner linken Braue waren ausreichend neue Härchen herangewachsen. Welche Farbe hatten sie? Hoffentlich rotblond, wie die rechte Braue und nicht etwa hellblond oder gar weiß. Ehe ich hier aufbreche, muss ich Klarheit über mein Aussehen gewonnen haben, denn mit einem Hexengesicht wäre jede Bewerbung zwecklos, wenn nicht gar gefährlich.
Um endlich etwas Spiegelähnliches zu finden, schlenderte ich jetzt näher zu jenem Geländeabschnitt, in dem sich die Mönche überwiegend aufhielten, gegen die dringende Bitte des Priors, mich den Brüdern nicht unnötig zu nähern, da sie durch meinen Anblick auf unkeusche Gedanken kommen könnten. Als ob ich nicht längst wüsste, dass diese Erklärung ein Vorwand war. In Wahrheit sollte ich nicht entdecken, was sie dort trieben - sie brannten Obstschnaps. Den füllten sie in die von Bruder Jonathan auf seiner Handkarre hergebrachten Steinflaschen ab und luden die vollen Flaschen dann auf ein Pferdefuhrwerk, das unweit des Klostertors zum Abtransport bereit stand. Hatte ich alles durchschaut. Auch diese Mönche umgingen also Gesetze, denn das Handeln mit Schnaps war Klöstern des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation untersagt.
Leider fand ich auch in diesem Trakt nichts, worin ich mich hätte spiegeln können.
E inen Tag nach Beendigung der Salbenkur hörte ich ein leichtes Fuhrwerk anrattern, das aber, statt auf das Gelände einzufahren, draußen vor dem Klostertor anhielt. Wenig später betrat ein junger hellblonder Hüne das Gelände und schritt in die Richtung der Klostergebäude. Ich fragte mich, wer das sein mochte und war ebenfalls neugierig auf sein Fuhrwerk. Deshalb legte ich rasch ein anständiges Kleid an, dessen Gürtelschnalle ich um zwei Löcher enger als früher schließen musste, verhüllte mein Gesicht und setzte meinen Strohhut auf. Dann trat ich nach draußen. Dort sah ich einen kleinen Planwagen mit einem Zugpferd stehen - was hätte ich drum, gegeben, mein Adelsgefährt gegen diesen praktischen Einspänner tauschen zu können.
„Guten Tag, Verehrteste!“, sprach mich vom Kutschbock her eine junge, auffallend hübsche Frau an, die ich bis dahin nicht wahrgenommen hatte.
Ich grüßte in der hiesigen, hart aus dem Rachen kommenden Mundart, die ich mir bei den Mönchen abgelauscht hatte, zurück, und die Frau kam zu mir herab, wobei sie erklärte: „Ich warte hier auf meinen Mann, er holt ein paar Mönchskutten ab, die ausgebessert werden sollen.“
„Euer Gatte ist Schneider?“
„Nein“, klärte sie mich auf, „die Schneiderin bin ich, mein Mann erledigt die kaufmännischen Arbeiten.“
Eine Schneiderin!
Sie sprach weiter: „Unser Name ist Hansen, und wie darf ich Euch anreden, mit gnädige Frau oder mit Fräulein?“
Ich konnte diese freundliche Frau nicht belügen: „Mit Fräulein, bitte, ich bin Tora von Tornheim. Wohnt Ihr weit von
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