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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Sperlinge, und alles, was sie uns hinterlassen, ist ein Knabe, so
schwach wie ein Mädchen, und eine alte Jungfer als seine Nachfolgerin?«
    Will sah mich an und rieb sich die Wange, als müsse er eine
Träne fortwischen. »Nun, dir ist das ja gleich«, fuhr er kurz
angebunden fort. »Bist gerade erst aus Spanien gekommen, du verdammtes
schwarzäugiges Mädel. Aber als geborener Engländer wärest du jetzt sehr
besorgt – wenn du ein Mann wärest, versteht sich, und ein
vernünftiger Mann dazu, statt ein Mädchen und ein Narr.«
    Er stieß die Tür auf und marschierte auf seinen langen Beinen
durch die große Halle, nickte den Soldaten zu, die ihn freundlich
grüßten.
    Ich sah zu, dass ich Schritt hielt. »Und was geschieht dann
mit uns?«, zischte ich ihm leise zu. »Was wird aus uns, wenn der junge
König stirbt und seine Schwester den Thron besteigt?«
    Will grinste mich an. »Dann dienen wir eben Königin Maria als
Hofnarren«, sagte er schlicht. »Wenn ich sie zum Lachen bringen kann,
wäre das wirklich mal etwas Neues.«
    Am Abend kam mein Vater zu einem Seitentor
des Palastes und brachte einen jungen Mann mit. Dieser war in einen
Umhang aus dunkler Wolle gekleidet, hatte schwarze Ringellocken, die
fast bis zum Kragen reichten, dunkle Augen und ein schüchternes,
jungenhaftes Lächeln. Es dauerte einen Augenblick, bis ich ihn
erkannte: Es war Daniel Carpenter, mein Verlobter. Ich sah ihn erst zum
zweiten Mal und schämte mich, dass ich ihn nicht sogleich erkannt
hatte – und dann schämte ich mich meiner goldgelben
Pagenlivree. Ich zog meinen Umhang enger um mich, um die Kniehosen zu
verbergen, und machte vor ihm eine linkische Verbeugung.
    Er war ein junger Mann von zwanzig Jahren und wollte Arzt
werden wie sein Vater, der im letzten Jahr urplötzlich gestorben war.
Seine Vorfahren, die d'Israelis, waren vor achtzig Jahren von Portugal
nach England eingewandert. Sie hatten einen urenglischen Namen
angenommen, den Namen eines Handwerkers. Ironischerweise hatten sie die
Bezeichnung für den Beruf des berühmtesten aller Juden ausgewählt:
Carpenter oder Zimmermann – das Handwerk Jesu. Ich hatte nur
einmal mit Daniel gesprochen, als er und seine Mutter uns in England
mit Wein und Brot willkommen hießen, und wusste fast gar nichts von ihm.
    Wie ich hatte er bei der Auswahl seiner Verlobten kein
Mitspracherecht gehabt, und ich wusste nicht, ob er diese Art der
Brautwahl ebenso sehr ablehnte. Die Verwandten hatten ihn für mich
ausgewählt, weil wir Cousins sechsten Grades waren und uns nur sieben
Jahre Altersunterschied trennten. Viel besser hätte ich es nicht
treffen können. In England waren bei Weitem nicht genug Vettern und
Onkel und Neffen vorhanden, damit ein jeder sich seine besonderen
Heiratswünsche erfüllen konnte. In London lebten ungefähr zwanzig
Sippen jüdischer Abstammung und auf dem Lande noch einmal halb so
viele. Da wir verpflichtet waren, untereinander zu heiraten, hatten wir
nicht viel Auswahl. Daniel hätte ein alter Mann von fünfzig Jahren sein
können, halb blind oder gar halb tot, und dennoch hätte ich ihn nach
meinem sechzehnten Geburtstag zum Manne nehmen und mit ihm das Ehebett
teilen müssen. Wichtiger als alles andere jedoch, wichtiger als
Reichtum oder das Zueinanderpassen der Eheleute war das geheime Wissen
um unseren Glauben. Daniel wusste, dass meine Mutter als Ketzerin
verbrannt worden war, weil sie verbotene jüdische Riten praktiziert
hatte. Ich wusste, dass er unter seinen schmucken englischen Kniehosen
beschnitten war. Ob er nun auch im Herzen an den auferstandenen Jesus
und die Predigten glaubte, die täglich und darüber hinaus zwei Mal
sonntags in der örtlichen Kapelle gehalten wurden, würde ich später in
Erfahrung bringen, so wie auch er mich mit der Zeit besser kennenlernen
würde. Mit Sicherheit wussten wir voneinander nur, dass unser
christlicher Glaube sehr frisch war, unsere Rasse jedoch sehr alt, und
dass wir seit mehr als dreihundert Jahren in Europa verhasst waren. In
die meisten Länder der Christenheit durfte ein Jude keinen Fuß setzen,
auch in dieses England nicht, das wir nun unsere Heimat nennen sollten.
    »Daniel hat darum gebeten, allein mit dir zu sprechen«, sagte
mein Vater verlegen und zog sich diskret zurück.
    »Ich habe gehört, dass du Hofnärrin des Königs geworden bist«,
begann Daniel. Ich sah ihn forschend an. Langsam überzog Röte sein
Gesicht, bis selbst seine Ohren glühten. Er wirkte sehr jung, hatte
eine zarte Haut wie ein

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