Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
dass die Polizei ihn verscheuchte, weil er den Fluss der Massen zu sehr störte.
Er stand mit dem Rücken zum verwitterten Sandsteingebäude einer ehemaligen Bank, das jetzt eine Handy-»Boutique« beherbergte, weil er sich überlegt hatte, dass Mobiltelefonverkäufer sich hoffentlich nicht trauen würden, jemandem wegen ungebetener Beschallung Ärger zu machen. Bisher war die Rechnung aufgegangen, aber sicher trugen auch der massive Stein und die moderne Doppelverglasung dazu bei. Als besonders gut hatte sich der Standort auch erwiesen, weil er fast direkt gegenüber des nach seinem Architekten benannten McLennan Building lag, eines pseudogriechischen Prunkbaus aus der Zeit Queen Victorias, deraber hauptsächlich für das Finanzinstitut bekannt war, das ihn in Auftrag gegeben und seitdem dort seinen Hauptsitz hatte. Andy wusste nicht, wie er den Laden heutzutage nennen sollte – die Bank der schottisch-presbyterianischen Entbehrung war mit der kargen Northern Building Society fusioniert, und er wusste nicht, in welche Kategorie der resultierende Riese fiel – für ihn war aber auch viel wichtiger, dass er nun auch samstagvormittags aufhatte und eine noch größere Laufkundschaft lockte, als die Geldautomaten allein es vermocht hatten.
Dummerweise zogen Geldautomaten überall auf der Welt immer auch Obdachlosenzeitungsverkäufer an, deren Nähe jeden Straßenmusiker in den Ruin treiben konnte. Andy hatte nichts gegen die armen Schweine, aber Geschäft war Geschäft, und es war nun mal so, dass man sein etwaiges Wechselgeld nach einer Konsumorgie auf dem Rückweg zum Parkhaus lieber dem echten, ausgewiesenen Obdachlosen zusteckt als dem Pseudohippie-Studenten, der sich ja immerhin noch die Zwölfsaitige leisten konnte, auf der er No Surprises herunterklampft. Andy stand zum Glück zwanzig, dreißig Meter von der Bank entfernt, weit genug außerhalb des Einflussbereichs des nächsten Zeitungsverkäufers; also konnte er auf das Geld der Leute hoffen, die jenen noch nicht erreicht hatten, oder von den verspäteten Schuldgefühlen derer profitieren, die eigentlich eine Zeitung hatten kaufen wollen, es sich dann aber doch anders überlegt hatten und schnell weitergegangen waren.
In der Mikroökonomie der Straßenmusik gab es also nur wenige Konstanten. Man konnte nie so recht vorhersagen, wie sich all die chaotischen Variablen auf einen auswirkten und was der Flügelschlag des Schmetterlings am Amazonas von der Argyle Street zu ihm heraufwehen würde: Vielleicht würde das halbe Prozent gesenkter Zinsen den Weg in seinen Gitarrenkoffer finden; oder vielleicht würde der eine Typ, der zufällig auf Green Day stand, ein bisschen mehr in Unterwäsche für seine Frau investieren und nur noch ein paar Pence übrig haben, wenn er Andy Time of Your Life singen hörte. Alles war offen. Manchmal gönnte er sich eine Auszeit vomStandardrepertoire und trällerte etwas, was nicht unbedingt jeder kannte, was natürlich oft den Geldfluss versiegen ließ, außer, jemand kam zufällig vorbei, der ganz besonders begeistert war, dass ein Straßenmusiker so eine obskure Perle spielte. Bei Closer to Fine von den Indigo Girls ließ sich dieses Phänomen relativ häufig beobachten, obwohl es einmal auch zu einem unschönen Zwischenfall gekommen war, als ihn eine besonders humorlose Passantin bezichtigte, er wolle andeuten, sie sei lesbisch, weil er den Song gerade angestimmt hatte, als sie vorbeigekommen war.
Doch ein Zufallsfaktor hatte ihm nichts als Ärger gebracht und den Fußgängerverkehr um seinen Standort herum stärker beschleunigt als jeder kotzverschmierte Alki mit Buckfast-Flasche (und der würde immerhin irgendwann einpennen oder gelangweilt abziehen). Seit drei Wochen diente nämlich die Stelle auf halbem Weg zwischen Handyladen und Bank diesem schwafelnden Jesus-Junkie mit Rauschebart als Open-Air-Kanzel. Er war jeden Samstagmorgen da gewesen und unter der Woche auch ein paarmal und hatte endlos in sein Mikrofon palavert und mit einer Bibel gewedelt. Wie bei allen Freiluftmissionaren in den Fußgängerzonen der Welt hatte das den Effekt, dass in einem weiten Umkreis, der leider auch Andys Platz einschloss, alle Leute vorbeihasteten und jegliche Sinneseindrücke abblockten. Okay, der Typ packte meistens gegen zwölf seine Sachen, aber da hatte er Andy schon die halben Tageseinnahmen versaut.
Er war zwar kein Hölle-und-Fegefeuer-Wüterich mit wirrem Blick, aber er war breit genug gebaut, dass Andy ihn lieber nicht bitten
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