Die Hudson Saga 03 - Dunkle Träume
in gar nichts einer Meinung, nicht einmal beim Wetter. Deshalb schwieg ich.
»Du kommst natürlich«, sagte sie. »Ich habe das bereits mit Jake besprochen.«
»Ich weiß nicht, ob ich das tun sollte«, schluchzte ich beinahe. Schon der Gedanke ließ mir das Blut zu Eis erstarren.
»Das wäre nicht schön«, sagte sie. »Du bist Brodys Schwester«, erinnerte sie mich voller Vergnügen.
»Ich glaube nicht, dass sie mich dort wollen«, sagte ich.
»Niemand hat so etwas gesagt. Wenn du nicht kommst, sieht es so aus, als wärst du dafür verantwortlich«, betonte sie.
Dieser schreckliche Gedanke nistete sich in meinem Herzen ein wie ein bösartiger Wurm.
»Das wird noch mehr hässlichen Tratsch über dich und die Familie provozieren und Grant noch
mehr verletzen«, fuhr sie fort. »Du kommst, bleibst im Hintergrund, aber zeigst dein Gesicht und drückst dein Mitgefühl aus«, ordnete sie an. »Es ist alles arrangiert. Zieh dich nur angemessen an.
Ich muss gehen. Ich bin die Einzige, die Grant dazu bewegen kann, einen Bissen zu sich zu nehmen. Er ist ein Schatten seiner selbst. Das Haus ist voller Trauergäste, die meisten sind sehr wichtige Leute. Die Geschichte stand in allen Zeitungen. So schrecklich das alles auch ist, Grant wird daraus umso größer hervorgehen.«
»Wie grauenhaft«, war alles, was ich sagen konnte, aber sie war nicht bereit, irgendetwas zu hören, das sie nicht hören wollte, besonders von mir.
»Aus einer Tragödie gehen die wahrhaft Großen hervor. Mach aus jedem Rückschlag eine Lektion und suche nach einer Lehre, die du daraus ziehen kannst.Wenn du klug bist, hörst du auf mich.
Ich muss jetzt gehen. Auf Wiedersehen«, verabschiedete sie sich.
Mama hätte gesagt: »Diese Frau hat einen Klumpen Kohle in ihrer Brust, dort wo ihr Herz sein sollte.«
Ohne Jake hätte ich die Beerdigung nicht durchgestanden.
Als wir an jenem Tag zur Kirche fuhren, sprach er von meiner Großmutter und ihrer Fähigkeit, ungeachtet der Situation ihre Haltung und ihre Klasse zu bewahren.
»Ich muss sagen«, erzählte er mir, »dass ich kaum,
wenn überhaupt je erlebt habe, dass sie schwankte. Selbst als sie mir mitteilte, dass sie schwanger war, sprach sie von Stärke.«
Ich weiß, dass er mir das alles erzählte, damit ich keine Angst hatte oder in Panik geriet, aber als wir uns der Kirche näherten, konnte ich nicht fassen, wie groß die Menschenmenge war. Brodys Mannschaftskameraden aus der Highschool waren alle gekommen, gekleidet in ihre Schulblazer. Die ihm am nächsten standen, trugen jetzt seinen Sarg.
Tante Victoria begrüßte mich und nahm mich mit den Mittelgang entlang, um in den Reihen zu sitzen, die den engsten Familienangehörigen vorbehalten waren. Alle Augen in der Kirche hatten sich mir zugewandt. Ich spürte die Neugierde, die Fragen, die Überraschung, die über mich hinwegschwemmten. Ich versuchte den Blick auf den Altar geheftet zu halten, aber der Anblick von Brodys Sarg schnürte mir die Kehle zu. Ich konnte nicht schlucken; konnte kaum atmen.
Oh Gott, bitte lass mich nicht in Ohnmacht fallen oder irgendetwas tun, das noch mehr Aufmerksamkeit auf mich zieht.
Grant sah verhärmt, ausgezehrt aus und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Meine Mutter war offensichtlich mit Medikamenten voll gestopft. Sie schwankte, konnte sich kaum aus eigener Kraft bewegen. Victoria erzählte mir, dass die Frau neben ihr eine Krankenschwester war, die sie, Victoria, beschlossen hatte zu engagieren.
»Grant fand, das sei eine sehr gute Idee«, flüsterte sie, als wir uns in die Reihe setzten.
Ich muss zugeben, dass Alison schrecklich verängstigt und klein wirkte. Als sie mich anschaute, reagierte sie zuerst gar nicht. Sie beobachtete, wie Tante Victoria und ich uns hinsetzten, dann wandte sie sich ab, starrte den Sarg an und schaute schließlich wieder zu mir mit einem Blick, als wollte sie mich erdolchen.
Meine Mutter hob gar nicht den Kopf. Der Geistliche versuchte nicht, einen Sinn in der Tragödie zu finden. Er beschränkte seine Bemerkungen darauf, wie glücklich wir uns schätzen könnten, Brody so lange bei uns gehabt zu haben. Abgesehen von Alison, die während der Predigt blöd grinste, zeigte niemand eine Reaktion oder Emotion. Grant starrte stoisch vor sich hin und meine Mutter hielt den Kopf gesenkt, die Augen geschlossen wie jemand, der nur duldet und darauf wartet, dass die Qual ein Ende findet.
Die Sargträger brachten den Sarg an einem Seitenausgang hinaus; ihnen folgte die
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