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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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der Teufel soll Sie holen, Lamia, wenn Sie es nicht glauben. Wir lebten auf Mutters Anwesen auf einer Insel nicht sehr weit vom Nordamerikanischen Naturschutzgebiet entfernt.
    Notizen für eine Skizze der Heimat auf der Alten Erde:
    Filigrane Dämmerung verblaßt von Violett zu Fuchsienrot zu Purpur über den Kreppapiersilhouetten von Bäumen hinter dem südwestlichen Abschnitt des Rasens. Der Himmel so zerbrechlich wie hauchfeines Porzellan, und nicht von Wolken oder Kondensstreifen verunziert. Die präsymphonische Stille des ersten Lichts, gefolgt vom Cymbeltusch des Sonnenaufgangs. Orange und Rostbraun entflammt zu Gold, dann der lange, kühle Abstieg zum Grün: Laubwerk, Schatten, Zweige von Zypressen und Trauerweiden, der zartgrüne Samt des Sumpfes.
    Mutters Anwesen – unser Anwesen – vierzig Hektar inmitten von Millionen Hektar. Rasenflächen so groß wie mittlere Prärien, Gras so perfekt, daß es den Körper förmlich einlud, darauf zu liegen, auf seiner Perfektion zu schlafen. Edle Bäume machten den Erdboden zur Sonnenuhr, ihre Schatten zogen in stattlicher Prozession dahin; überkreuzten sich, zogen sich um die Mittagszeit zurück und streckten sich zuletzt im sterbenden Tag gen Osten. Königseichen. Ulmen. Baumwolle und Zypressen und Rotholz und Bonsai. Banjanbäume, deren glatte Stämme wie Säulen eines Tempels aufragten, dessen Dach der Himmel war. Weiden säumten sorgfältig angelegte Kanäle und willkürliche Bächlein, und ihre hängenden Zweige sangen dem Wind uralte Lieder.
    Unser Haus erhebt sich auf einem flachen Hügel, wo die braunen Kurven des Rasens im Winter wie die glatten Flanken eines weiblichen Tiers aussehen – gespannte, für Schnelligkeit geschaffene Muskeln. Das Haus zeigt jahrhundertelange Anbauten: ein Jadeturm am östlichen Hofrand, in dem sich das erste Licht der Dämmerung bricht; eine Reihe Giebel am Südflügel, die zur Teestunde dreieckige Schatten auf das Kristallkonservatorium werfen; Balkone und Irrgärten externer Treppen an der Ostfassade, die Escher-Spiele mit den Schatten des Nachmittags spielen.
    Es war nach dem Großen Fehler, aber bevor alles unbewohnbar wurde. Wir bewohnten das Anwesen weitgehend während ›Ruheperioden‹, wie wir sie zurückhaltend nannten – Abschnitten von zehn bis achtzehn ruhigen Monaten zwischen den planetaren Zuckungen, wenn das gottverdammte Schwarze Loch des Kiew-Teams Teile des Erdmittelpunkts verschlang und auf den nächsten Festschmaus wartete. Während der ›Schlimmen Zeiten‹ machten wir Ferien in Onkel Kowas Haus jenseits des Mondes auf einem terrageformten Asteroiden, der vor der Völkerwanderung der Ousters dorthin gebracht worden war.
    Ihr alle könnt inzwischen sicher schon sehen, daß ich mit einem silbernen Löffel im Arsch auf die Welt gekommen bin. Wofür ich mich nicht entschuldigen werde. Nach dreitausendjährigem Herummachen mit der Demokratie war den verbliebenen Familien der Alten Erde klar geworden, daß man derlei Pöbel nur vermeiden konnte, wenn man nicht zuließ, daß er sich vermehrte. Oder besser, indem man Saatschiffsflotten finanzierte; Spin-Schiff-Erkundungen, neue Farcaster-Völkerwanderungen ... die ganze panische Hektik der Hegira ... so lange sie sich da draußen vermehrten und die alte Erde in Ruhe ließen. Die Tatsache, daß die Heimatwelt eine kranke, alte, abgefuckte Hure war, tat dem Pionierdrang des Pöbels keinen Abbruch. Sie waren keine Narren.
    Und wie der Buddha, war ich fast erwachsen, bis ich die erste Andeutung von Armut sah. Ich war sechzehn Standardjahre alt, in meinem Wanderjahr, und reiste mit dem Rucksack durch Indien, als ich einen Bettler erblickte. Die Alten Hindu-Familien duldeten sie aus religiösen Gründen, aber ich sah damals nur einen Mann in Lumpen, mit Rippen, die sich deutlich abzeichneten, der mir einen Weidenkorb mit einem uralten Kreditdiskey hinhielt und die Berührung meiner Universalkarte erflehte. Meine Freunde dachten, ich wäre hysterisch. Ich mußte mich übergeben. Ich war in Benares.
    Meine Kindheit war privilegiert, aber nicht im Überfluß. Ich habe angenehme Erinnerungen an die berühmten Parties der Grande Dame Sybil (sie war meine Großtante mütterlicherseits). Ich erinnere mich noch an ein dreitägiges Fest, das sie im Archipel von Manhattan gegeben hat, wo Gäste per Landungsboot von Orbit City und aus den europäischen Arkologen kamen. Ich kann mich an das Empire State Building erinnern, das aus dem Wasser ragte und dessen zahlreiche Lichter sich

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