Die Insel Der Tausend Quellen
kleine Erfrischung, bevor sie sich um Akwasis Rücken kümmerte. Nora gab es niemals zu, aber der Anblick von Maden in einer Wunde verursachte ihr auch nach zwei Jahren Armenhilfe noch Übelkeit …
Nora warf einen Blick in den Spiegel, bändigte ihr Haar, das sich aus dem gelockten Pferdeschwanz gelöst hatte, mit einem seidenblumengeschmückten Stirnband und griff sogar nach der Puderquaste, um vornehme Blässe in ihr gerötetes Gesicht zu zwingen. Auf keinen Fall wollte sie aufgewühlt und durcheinander wirken, falls sie auf dem Weg in die Hüttensiedlung einem Aufseher begegnete. Schlimm genug, dass sie verschwitzt war und die Spitzenärmel ihres Hemdes, die unter dem Kleid vorsahen, traurig lasch herunterhingen.
Tatsächlich begegnete sie dann allerdings niemandem, abgesehen von Adwea und den Küchenmädchen und -jungen, als sie den Weg durch das Reich der Köchin abkürzte. Adwea drückte ihr noch rasch einen Topf Salbe in die Hand. Sie kochte sie aus Schweineschmalz und ganz bestimmten Kräutern oder Blüten.
»Schick einen Jungen in die Destillerie, um die Schnapsvorräte wieder zu ergänzen«, trug Nora ihr auf.
Mangel an dem Zeug bestand nicht, schließlich brannte man es hier selbst. Nora hoffte nur, dass es nicht jahrelang ablagern musste wie guter Whiskey, aber diese Befürchtung konnte Adwea zerstreuen. Nora wunderte sich, dass sie nicht nur ohne zu überlegen, sondern auch in viel flüssigerem Englisch als sonst antwortete. Seit sie Toby gemeinsam verarztet hatten, schien eine Art Komplizenschaft zwischen der Herrin und der Dienerin erwacht zu sein. Nora freute sich darüber, als sie zu den Hütten ging.
Akwasi lag auf dem Bauch in der Mitte einer Hütte, die er wohl gemeinsam mit ein paar anderen jungen Feldsklaven bewohnte. Die Männer mussten ihn hineingeschleift und einfach liegen gelassen haben – zweifellos auf Anweisung Trumans, der auf schnellste Erledigung des Auftrags der Herrin bestand. Neben seinem leblosen Körper kniete Máanu und weinte. Zwischen zwei Schluchzern redete sie dabei auf Akwasi ein, flehte ihn an, doch endlich aufzuwachen, und versuchte ungeschickt, seinen Kopf zu heben und ihm Wasser einzuflößen.
»Lass ihn ruhig schlafen, es ist viel besser für ihn, wenn er bewusstlos bleibt, bis wir die Wunden versorgt haben«, sagte Nora. Máanu fuhr erschrocken auf, beruhigte sich aber, als sie die Herrin erkannte. »Die Lauge und der Alkohol brennen höllisch, und er wird schon genug Schmerzen haben.«
Máanu nahm sich denn auch zusammen und half Nora, die Striemen mit Seifenlauge auszuwaschen. Akwasi wachte mit einem Stöhnen auf, als sie anschließend Schnaps über seinen geschundenen Rücken rinnen ließen.
Akwasi hatte der neuen Herrin der Plantage bis jetzt keinen zweiten Blick gegönnt. Als Feldarbeiter kam er ja auch kaum in ihre Nähe. Natürlich sprachen die Frauen über Nora Fortnam, Máanu hörte gar nicht mehr damit auf, aber Máanu redete ohnehin so viel auf Akwasi ein, dass er kaum noch zuhörte. Das Mädchen lief ihm erkennbar nach, aber für ihn war sie nicht mehr als eine kleine Schwester. Ohnehin war eine Frau zu nehmen das Letzte, woran Akwasi dachte, und wenn, dann würde er sich sicher nicht für eine Sklavin entscheiden.
Akwasi war ein zorniger junger Mann, er hielt sich von den Weißen so weit als möglich fern – schon, um nicht ständig gegen den Drang ankämpfen zu müssen, die Machete nicht gegen den Stamm des Zuckerrohrs zu schwingen, sondern den Aufseher oder gar den Backra damit in Stücke zu schlagen. Die Kraft dazu hätte er gehabt – und manchmal fragte er sich, ob die Genugtuung, die er dabei spüren würde, seinen Tod nicht wert wäre. Aber dann beherrschte er sich doch wieder eisern – man würde nicht nur ihn hängen, sondern zweifellos auch alle anderen aus seiner Gruppe, und obendrein wusste niemand, ob es beim Hängen blieb.
Die Pflanzer hatten die absolute Macht über ihre Sklaven. Zwar gab es Gesetze zur Regelung ihrer Bestrafung, aber niemand würde sich darum kümmern, wenn sich ein Sklave eines in den Augen der Backras wirklich schrecklichen Vergehens schuldig gemacht hatte. Akwasi hatte von Männern gehört, die man lebendig verbrannt hatte oder die man langsam zu Tode brachte, indem man ihnen eine Gliedmaße nach der anderen abschnitt. Akwasi wollte so nicht sterben, und er hatte eigentlich auch nicht das Risiko eingehen wollen, zu Tode geprügelt zu werden. Natürlich hatte er mit einer Bestrafung gerechnet, weil er sich
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