Die irische Meerjungfrau
Eintopf aus der Dose. Dazu einen Salat mit seinem Spezialdressing. Das Brot im Ofen aufgebacken.
Draußen war es stockfinstere Nacht geworden, der Himmel sternklar. Fin stand am Fenster des Wohnzimmers und suchte in der Dunkelheit das Meer. Ab und zu durchbrach eine helle Schaumkrone seine eigene Spiegelung im Glas. Das einsame Licht einer Boje blinkte übers Wasser, ein unbekanntes Raumschiff auf seiner Reise durch die Unendlichkeit, das versuchte, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Trotz geschlossener Fenster hörte er das unablässige Rauschen der Brandung, begleitet vom Wind, der hinten und vorne am Haus rüttelte wie ein nächtlicher Dieb, der Einlass begehrte. Es war frostig da draußen, das Glas entlang der Rahmen beschlagen mit feinen Nebeltröpfchen.
Charlie kam ins Zimmer, in der Hand eine Flasche Rotwein, die sie ihm zusammen mit einem Korkenzieher hinhielt. Es war bereits die zweite Flasche, die erste hatten sie zum Essen getrunken. Sie legte ein paar Torfbriketts in den Ofen, während er den Wein öffnete. Sie trug dieselben Jeans und denselben farblosen Pullover wie am Vortag. Ihre Füße steckten in dicken Wollsocken.
»Bestimmt nicht einfach zu heizen, die Bude«, meinte er.
»Kannst du laut sagen«, erwiderte sie, warf die Ofentür zu und den Schürhaken in die Ecke, »wir sind halt zu verwöhnt. Früher lebten die Menschen mit ihrem Vieh unter einem Dach, damit Sie’s wenigstens ’n bisschen warm hatten.« Sie ging hinüber zum Sofa, wo die rote Katze ihr erwartungsvoll entgegenblickte. »Naja, irgendwie ist es heute nicht viel anders, oder?« Sie setzte sich, nahm die Katze auf den Schoß und vergrub ihre Hände im dichten Pelz. Die Katze fing umgehend an zu schnurren.
Fin schenkte den Wein aus und reichte ihr ein Glas. Ihre Finger berührten seine für einen Moment. Ihre langen schmalen Finger, die kräftig genug waren, um Motoren zu reparieren, und gleichzeitig geschickt genug, um filigrane Pinsel zu führen. Was hatte er erwartet? Schwimmhäute?
Er setzte sich ihr gegenüber in einen der beiden klobigen Sessel und fragte sich, wie er die Sprache auf die Keanes bringen konnte. »Nora Nichols hat mir heute Shergars Grab gezeigt.«
»Glaubst du ihre Geschichte etwa?« Es klang amüsiert.
Ein Achselzucken. »Vielleicht.«
»Was wirst du tun? Ihn ausgraben?«
Er hatte keine Antwort darauf.
»Was reizt dich so an dieser Geschichte? Nach so langer Zeit?«
»Ein ungelöster Kriminalfall«, antwortete er, ganz der enthusiastische Reporter, »eine Spur, die ausgerechnet nach Foley führt. Heimat der berüchtigten Keane-Brüder …«
»Dich lässt der Gedanke nicht los, dass sie damals ihre Finger im Spiel hatten, nicht wahr?« Sie beobachtete ihn über den Rand ihres Weinglases. »Tommy war damals zwölf, Jack ganze fünfzehn. Sie waren Kinder.«
»Ich finde den Gedanken überaus faszinierend, dass die Keanes ihre zweifelhafte Karriere vielleicht mit einem Riesencoup begonnen haben.«
»Und wenn schon …«
Er rutsche nach vorn auf die Sesselkante und sah sie aufmerksam an. »Heißt das, da ist was dran?«
»Das heißt gar nichts.« Sie nippte an ihrem Rotwein und streichelte fast schon mechanisch die Katze, die mit geschlossenen Augen in ihrem Schoß lag und entspannt alle viere von sich gestreckt hatte.
Er leerte sein Glas. »Nach Nora Nichols’ Schilderung haben die Gomballs Shergar auf dem Gewissen. Feen. Oder Elfen. Vielleicht auch Kobolde, was weiß ich, ich kenn den Unterschied nicht so genau.«
»Die Gomballs, ja … Nora hatte schon immer ein Faible für Geisterwesen und Märchen.«
»Wusstest du, dass sie ein Buch über Feen schreiben will?«
»Zuzutrauen wärs ihr.« Gedankenverloren glitten ihre dünnen Finger durch ihre Haare, drehten die roten Strähnen zu vergänglichen Locken. »Wer weiß, vielleicht sind wir ja wirklich nicht allein auf dieser Welt …«
Fin startete einen neuen Versuch. »Das Unglück damals vor zehn Jahren, der Brand auf der Mairona, bei dem Thomas Keane ums Leben kam …«
»Ich war in Dublin. Ich habs aus der Zeitung erfahren.«
»Glaubst du«, er versuchte ihren Blick aufzufangen, »glaubst du, dass er noch lebt?«
Im matten Schein einer altmodischen Stehlampe hielten ihre dunkelgrünen Augen stand. »Woher soll ausgerechnet ich das wissen?« Fin glaubte, ein winziges überlegenes Meerjungfrauenlächeln über ihr Gesicht huschen zu sehen. »Jedenfalls hat er sich nicht bei mir gemeldet, falls dir damit geholfen ist.« Sie nahm einen
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