Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
keinen konkreten Verdacht hatte.
Aber das war sechsunddreißig Jahre her, ein halbes Leben …
Die Spur war kalt gewesen. Abgearbeitet. Tot. Und bis gestern hatte es auch keinen Grund gegeben, sie wieder aufzuwärmen.
Aber jetzt …
„Warum nicht?“, sagte Verhoeven. „Schließlich war man als Kindermörder 1971 noch nicht durch Serien wie CSI und Co. geschult.“ Er lachte. Ein kurzes, freudloses Lachen, das Winnie entfernt an Sven Brüning erinnerte. „Vielleicht hat er einen genetischen Fingerabdruck hinterlassen.“
„Dann sollten wir das schnellstens überprüfen“, pflichtete sie ihm bei.
„Dazu müssten wir allerdings erst einmal wissen, wo der Schuh heute ist.“ Er stieß einen resignierten Seufzer aus. „Laut Liste ist er nämlich nicht mehr in der Asservatenkammer und…“
„Oh, damit kann ich dienen“, unterbrach ihn Winnie mit einem hintergründigen Lächeln. „Die bewusste Sandalette befindet sich, auf einen dunkelroten Samtläufer gebettet, im Edda-Bender-Gedenk-Zimmer.“
Ihr Vorgesetzter schüttelte verständnislos den Kopf. „Im … Wo?“
Sie lächelte und berichtete von ihrem Abstecher in Eddas verstaubtes Kinderzimmer, den sie zuvor ganz bewusst ausgespart hatte. „Frau Bender stellt uns den Schuh ganz bestimmt zur Verfügung, wenn sich dadurch die Aussicht auf neue Erkenntnisse ergibt“, schloss sie. „Wenn Sie wollen, fahre ich gleich morgen Vormittag hin und hole ihn.“
„Tun Sie das“, nickte Verhoeven. „ Auch wenn wir uns bewusst machen müssen, dass nichts von dem, was wir daran finden, im Falle einer Anklage noch beweiskräftig wäre. Jeder Anwalt würde behaupten, unser so genanntes Beweismittel sei irgendwann im Verlauf der letzten sechsunddreißig Jahre kontaminiert worden.“
Sie nickte. „Aber ein konkreter Hinweis auf den Täter würde uns trotzdem weiterhelfen. Falls es derselbe ist, mit dem wir es jetzt zu tun haben.“
Ihr Vorgesetzter bedachte sie mit einem langen, prüfenden Blick. „Glauben Sie , dass es derselbe Täter ist?“
Sie ließ sich Zeit mit ihrer Antwort, weil sie wirklich ausloten wollte, was sie fühlte. „Nein“, sagte sie nach einer Weile, „das glaube ich nicht.“
„Geht mir genauso.“
„Sechsunddreißig Jahre sind einfach zu viel.“
„Ja“, nickte Verhoeven. „Stimmt.“
„Soll ich Eddas Sandalette trotzdem ins Labor bringen?“
Es war eine rein rhetorische Frage, aber Verhoeven beantwortete sie trotzdem: „Unbedingt“, sagte er. „Meiner Ansicht nach verdienen es auch die ollen Kamellen, beachtet und aufgeklärt zu werden. ‚Und zwar unabhängig davon, ob sie für einen aktuellen Fall relevant sind oder nicht.“
Sie tauschten einen Blick. Eine Art stilles Abkommen lag darin. Wir müssen vorsichtig sein. Diskret vorgehen. Brüning wird uns die Hölle heiß machen, wenn er mitkriegt, dass wir auch noch in eine andere Richtung ermitteln.
Irgendwann griff Verhoeven nach seinen Autoschlüsseln, die vor ihm auf dem Schreibtisch lagen, und erhob sich so müde, wie Winnie sich fühlte. „Wir sollten für heute Schluss machen.“
„Ja, d as sollten wir wohl ...“
Sie stand auf.
„Was macht Ihre Hand?“
„Schon besser, danke.“
„Das freut mich.“ Ein letzter prüfender Blick. „Dann bis morgen.“
„Ja“, sagte sie und folgte ihm in die sternklare Nacht hinaus.
3
Samstag, 28. Juli 2007
„Der Computer hat drei einschlägig vorbestrafte Männer ausgespuckt, die im Umkreis von fünf Kilometern zu den Einrichtungen wohnen, aus denen Corinna Schilling und Ann-Kathrin Jehninger verschwunden sind“, verkündete Werneuchen bei der Einsatzbesprechung am nächsten Morgen. „Einer saß zweieinhalb Jahre wegen Vergewaltigung, der andere ist bereits mehrfach wegen Belästigung und Voyeurismus auffällig geworden.“
„Was waren das für Vergewaltigungen?“, hakte Verhoeven nach.
Werneuchen warf einen Blick auf den Monitor seines Laptops. „Zwei Frauen und ein junges Mädchen.“
„Wie jung?“
„Sechzehn.“
Sechzehn, dachte Verhoeven. Sechzehn und drei. Dazwischen lag eine Welt …
„Was ist mit dem dritten?“, wollte Winnie Heller wissen.
„Kindesmissbrauch in zwei Fällen“, entgegnete Werneuchen, indem er ihr einen Stapel Kopien in die Hand drückte , die sie verteilen sollte. „Der Mann hat früher als Betreuer in einer Einrichtung für behinderte Kinder und Jugendliche gearbeitet und vor ein paar Jahren ziemlich überstürzt gekündigt, nachdem ein paar
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