Die Kalte Sofie
muss gestehen, dass ich dich zwischendurch sehr vermisse …«
Joe zog fragend die Augenbrauen hoch.
Sofie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sieh einer an! Hatte ihre einstige Rivalin Erik etwa schon wieder fallen lassen, oder wie?
»Mir geht’s super. Nach München zu gehen war die beste Idee seit Langem. Und jetzt muss ich Schluss machen. Danke noch mal für deine Mühe!«
»Meld dich doch wieder mal bei mir! Ich würde mich wirklich sehr freuen, Sofie. Hörst du?«
»Schaun wir mal. Pfiat di, Erik!«
Klick.
»Dein Lover aus Berlin, oder was?« Joes Augen musterten sie fragend.
»Das geht dich gar nix an. Ich frag dich ja auch nicht, was du neben deiner Arbeit sonst noch so treibst. Oder?«
Da war es wieder. Joes unwiderstehliches Augenzwinkern.
»Zum Beispiel über die Dult bummeln. Mit meiner extrem charmanten, zwischendurch allerdings ziemlich giftigen Exgattin.«
Schon lag Sofie eine gesalzene Antwort auf der Zunge, als sie plötzlich innehielt.
Diese trippelnde Gestalt, die da direkt Kurs auf sie nahm, hatte sie heute doch schon mal gesehen! Sofie wandte sich schnell ab und suchte nervös nach einer Ausweichmöglichkeit.
»Was hast denn, Sofie? Du tust ja plötzlich so, als ob du einen Geist gesehen hättest.«
»Viel schlimmer. Da vorn ist die Weidinger!«, wisperte Sofie.
»Dein Handarbeitsdrachen aus der Schule? Und? Magst ihr nicht Grüß Gott sagen?«
»Spinnst du? Hilf mir lieber!«
Joe grinste. »Dein Wunsch ist mir Befehl. Nichts lieber als das.«
Eine Sekunde später fühlte Sofie Joes Arme um sich. Sein Atem streifte ihre Wange – Pfefferminz und ein warmer Hauch Calvin Klein. Eine süße Welle von Vertrautheit durchflutete sie. Für einen kurzen Moment war sie versucht, sich noch enger an Joe zu schmiegen.
Ihre Ohren rauschten, ihr Herz klopfte bis zum Hals. In ihrem Bauch meldete der erste zarte Schmetterling ein Tänzchen an.
Ging’s eigentlich noch?
Vorsichtig riskierte sie einen Blick über Joes breite Schultern. Frau Weidinger musterte das eng umschlungene Pärchen irritiert. Dann machte sie kopfschüttelnd kehrt und trippelte in die entgegengesetzte Richtung davon.
Hastig löste sich Sofie aus Joes Umarmung und zwang sich zu einem unverfänglichen Lächeln.
»Sie ist weg. Gott sei Dank!«
»Schade eigentlich. Von mir aus hätte sie ruhig noch länger bleiben können.« Joe schmunzelte scheinbar unbekümmert. Doch in seinen Augen las Sofie versteckte Sehnsucht.
Sie schluckte und wandte sich ab.
»Du hast gut reden. Ich hatte heute immerhin schon mal das Vergnügen, sie zu hören. Hat sich bitter über ihre Nachbarn beklagt, die Alte. Nur weil es bei denen seit Tagen komisch riecht vor der Tür und keiner aufmacht.«
Sofie stutzte und wechselte einen alarmierten Blick mit Joe, der nun ebenfalls beunruhigt wirkte. Erst jetzt dämmerte ihr, dass an Frau Weidingers Geschichte mehr dran sein könnte, als ihr bisher bewusst gewesen war.
27
Tanz in den Mai
B ergab spürte sie das rechte Knie wieder. Vroni wechselte die Tragetasche mit der Thermoskanne und den sorgfältig eingeschlagenen Rohrnudeln von der rechten in die linke Hand und blieb einen Augenblick stehen.
Vor ihr zogen sich die langen Kehren des Giesinger Bergs, wohlgemerkt des lauschigen Fußwegs, den man zwischen frischem Grün zurücklegen konnte, wenn man ohne fahrbaren Untersatz nach Untergiesing wollte. Sie hörte eine Amsel singen, dann das freche Tschilpen einer Spatzenschar.
Arthrose, hatte der geschniegelte Vico-Torriani-Verschnitt von Orthopäde im letzten Herbst lapidar diagnostiziert, zu dem sie dann nicht mehr gegangen war, weil ihr nach seinen Tabletten immer so schlecht geworden war. Viel besser vertragen hatte sie die winzigen weißen Kügelchen der jungen Hausärztin am St.-Martins-Platz – aber auch die musste sie sich erst wieder neu besorgen.
Beim vorsichtigen Weitergehen flammte der Schmerz erneut auf.
Herrgottzari – ob sie nicht doch besser umkehren und sich daheim eine Runde aufs Sofa legen sollte?
Grimmig schüttelte sie den Kopf.
Sie war doch noch kein altes, klappriges Weibsbild! Und das mit dem Sichschonen hatte ihr ganzes Leben eh noch nie richtig geklappt. Außerdem wartete Vronis erkrankte Freundin Rosa bestimmt schon sehnsüchtig auf ihren Krankenbesuch.
Und was Vroni versprochen hatte, das hielt sie auch.
Sie begann zu schwitzen. Was sie ärgerte, weil sie das blaue Kostüm, das sie heute ausnahmsweise angezogen hatte, dann gleich in die Reinigung bringen
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