Die Katze, die hoch hinaus wollte: Roman
gehen.«
»Ist das ratsam nach Einbruch der Dunkelheit?«
»Alleine gehe ich nie zu Fuß, aber... klar, das ist kein Problem. Treffen wir uns um sieben Uhr in der Eingangshalle an der Tür? Ich bitte Sie nicht in meine Wohnung. Sie ist ein einziges Chaos.«
Er öffnete die Dose Hummer für die Katzen und richtete das Fleisch auf einem Teller aus Kopenhagener Porzellan an. Die Wohnung war phantastisch ausgestattet: Waterford-Kristall, schwedisches Tafelsilber, deutsches Edelstahlgeschirr und so weiter. Nachdem er seine Koffer ausgepackt hatte, schlenderte er in den Räumen umher, aß einen Apfel und staunte über die teuren Kunstbände auf dem Tisch in der Bibliothek, über das Wasserbett im großen Schlafzimmer, über die goldenen Wasserhähne im Badezimmer. Dem Gemälde mit der blutigen Schlachtbank warf er einen schiefen Blick zu; etwas Derartiges mochte er zeitig in der Früh, auf nüchternen Magen, nicht sehen, und doch hing es an einer markanten Stelle an der Wand am Ende des Vorraums.
Als die Katzen ihr Mahl beendet und ihre Pfoten, Schnurrhaare, Ohren und Schwänze geputzt hatten, zeigte er ihnen das Wohnzimmer. Binnen kürzester Zeit entdeckten sie, daß sie um den Rand des früheren Schwimmbeckens herumrasen, einander über die teppichbelegten Stufen zur Sitzecke hinauf- und hinunterjagen, auf die Bäume klettern und über die ganze Länge der Sofalehne flitzen konnten. Um seine eigene Neugier zu befriedigen, schritt er das um die Ecke verlaufende Sofa ab und stellte ungläubig fest, daß es sechs Meter lang war. Es gab nicht viele Möbel, doch die wenigen vorhandenen waren alle ungewöhnlich groß: Ein riesiger Cocktailtisch aus Onyx, auf dem Kunstzeitschriften lagen; eine zweieinhalb Meter lange Bar; eine beeindruckende Stereoanlage mit Lautsprecherboxen, die so groß wie Särge waren.
Am dramatischsten wirkten jedoch die Gemälde, die oben an den Wänden hingen. Es waren große Stilleben, alles Studien von Pilzen – ganz, halbiert oder in Scheiben geschnitten, und in den unterschiedlichsten Positionen daliegend. Die bestürzende Wirkung kam, wie Qwilleran fand, nicht von der Größe der Pilze – sie hatten einen Durchmesser von über einem halben Meter –, sondern von der Tatsache, daß auf jedem Gemälde ein spitzes Messer dargestellt war, das mörderisch scharf aussah. Er mußte zugeben, daß dieses Messer die Bilder über gewöhnliche Stilleben hinaushob. Irgendwie suggerierte es die Anwesenheit eines Menschen. Aber er konnte sich nicht vorstellen, warum der Besitzer der Wohnung so viele Pilze aufgehängt hatte, es sei denn... er hatte sie selbst gemalt. Wer war dieser talentierte Mieter? Die Signatur auf den Werken war ein kryptisches Logo: Zwei R, mit den Rücken zueinander gemalt. Warum spezialisierte er sich auf Pilze? Warum war er weg? Wo war er hin? Wann würde er zurückkommen? Und warum war er bereit, diese luxuriös eingerichtete Wohnung an einen Fremden unterzuvermieten?
In diesem Raum gab es keine Fenster an den Wänden – nur das Dachfenster, durch das an diesem Spätnachmittag im November ein trübes Licht hereinfiel. Abgesehen von den Bäumen in ihren Töpfen und den grünen und gelben Plastikeimern, die für den Fall, daß es regnete, an strategischen Punkten aufgestellt waren, war das Zimmer vollkommen einfarbig gehalten. Die Wände, der Sofaüberzug und der industriell gefertigte Spannteppich, alles hatte die gleiche helle, grau-beige Farbe wie die Pilze.
Er sah auf die Uhr. Es war Zeit, sich zum Abendessen umzuziehen. In diesem Augenblick hörte er, wie draußen die Tür zum Gang, der zum Aufzug führte, ins Schloß fiel; der Bewohner von vierzehn-B kam oder ging gerade. Er sollte es bald wissen.
Als das Dachrestaurant in die Wohnung vierzehn-A umgebaut wurde, war Platz kein Thema, und im großen Schlafzimmer konnte ein Bad mit Whirlpool für zwei Personen, eine Liege mit Höhensonne und ein Heimtrainer untergebracht werden. Die Duschkabine war groß genug für drei. Auf Knopfdrehung prasselte das Wasser – sanft wie Regen oder nadelscharf – von drei Seiten auf seinen Körper. Er schwelgte gerade in diesem neuen Gefühl, als das Wasser plötzlich eiskalt wurde. Er heulte auf und sprang aus der Kabine. Patschnaß und fluchend marschierte er, halb in ein Handtuch gewickelt, in die Küche, wo er das Haustelefon entdeckte. Mrs. Tuttles geschäftsmäßige Stimme meldete sich.
»Hier ist Qwilleran von vierzehn-A«, sagte er in dezent geschocktem Tonfall. »Ich habe gerade
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