Die Katze
wieder um, um sich weitere Notizen zu
machen. »Es bedeutet, dass man ihn ein wenig polieren muss, um ihn zum Glänzen zu bringen.«
Jill lachte erneut. »Das ist gut ausgedrückt. Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie Schriftstellerin werden sollten?«
»Was ist mit Ihrer Mutter?«
»Meiner Mutter?«
»Erzählen Sie mir mehr von ihr. Ich weiß, sie hat MS …«
»Meine Mom ist toll. Fangen Sie nicht an, auf meiner Mom rumzuhacken.«
»Habe ich doch gar nicht.«
»Sie hat getan, was sie konnte.«
»Ganz sicher.«
Warum verteidigst du sie? , hörte sie Bram fragen.
»Ich meine, es war bestimmt nicht leicht für sie mit dem Jähzorn meines Vaters und Ethans Charakter. Und ich hab Ihnen ja erzählt, dass ich ihr auch ganz schön zu schaffen gemacht habe. Sie konnte nicht viel tun. Sie hat immer versucht, den Frieden zu wahren und alle glücklich zu machen.«
»Wusste sie, was Ethan gemacht hat?«
»Wie meinen Sie das?«
»Wusste sie, was er Ihnen und Ihrer Schwester angetan hat?«
Nach einer kurzen Pause sagte Jill: »Wir haben es ihr nie erzählt, falls Sie darauf hinauswollen.«
»Wollte ich nicht.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Sie denken, sie wusste es?«
»Ich weiß nicht. Ich frage nur, was Sie glauben.«
»Ich glaube, ich fange an zu bereuen, dass ich Sie angerufen habe.«
»Das sollen Sie nicht. Ich bin froh, dass Sie angerufen haben.«
»Warum müssen Sie dann so verdammt viele Fragen stellen? Warum können Sie zur Abwechslung nicht einfach mal zuhören?«
Sehr defensiv, wenn es um ihre Mutter geht , notierte Charley und unterstrich das Wort sehr mehrmals. »Tut mir leid. Ich werde nichts mehr fragen.«
»Ich glaube, selbst wenn sie es gewusst hätte , hätte sie rein gar nichts dagegen machen können.«
»Ich bin sicher, Sie haben recht.«
»Wie können Sie sich immer so verdammt sicher sein?«
»Das bin ich nicht.«
»Verfluchte Scheiße, Sie haben doch keine Ahnung.«
Die Leitung war tot.
»Okay«, sagte Charley und blieb still sitzen. »Okay.« Nach einer Weile stand sie auf und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
»Alles in Ordnung?«, fragte ihr Bruder.
»Offenbar habe ich keine Ahnung.«
»Das hätte ich dir auch sagen können.«
»Danke. Nun, wie dem auch sei, ich muss zurück zur Arbeit. Oh, ich hab auf die Rückseite von denen geschrieben.« Sie hielt die beiden Fotos hoch. »Ist das schlimm?«
Bram blinzelte zu den Bildern. »Nee. Das sind nur ein paar Kids aus der Nachbarschaft, die ich mal malen wollte.«
»Süße Kinder«, sagte Charley, steckte die Fotos in ihre Handtasche und ging zur Tür.
»Danke, dass du vorbeigekommen bist«, sagte Bram und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Wirst du wenigstens über ein Wiedersehen mit unserer Mutter nachdenken?«, fragte Charley.
»Danke, dass du vorbeigekommen bist«, sagte Bram noch einmal und schloss die Fliegengittertür fest vor Charleys Gesicht.
KAPITEL 16
THE PALM BEACH POST SONNTAG, 11. FEBRUAR 2007 WEBB SITE
Meine Mutter und ich hatten unlängst ein offenes Gespräch über die Frage von Veranlagung und Erziehung, genauer gesagt darüber, welches von beiden verantwortlich für die sexuelle Neigung eines Menschen ist. Allgemein heißt es, dass die Sexualität eines Menschen so angeboren sei wie seine Augenfarbe. Aber ist es wirklich so einfach? Man denke an die Tausenden von Männern und Frauen in unseren Gefängnissen, die sich auf der Suche nach ein wenig Trost und Erleichterung - oder vielleicht auch zur Demonstration ihrer Macht - dem eigenen Geschlecht zuwenden, um nach ihrer Entlassung sofort wieder zum anderen Geschlecht zurückzukehren. (Wie in dem alten Song: »If you can’t be with the one you love, love the one you’re with.«) Und was ist mit unserer freien Entscheidung? Haben wir in dieser Angelegenheit überhaupt kein Mitspracherecht?
Meine Mutter meint, doch. Zumindest wir Frauen. Und bevor mich eine E-Mail-Flut von religiösen Fundamentalisten ereilt, die sie für ihren Feldzug gegen die armen, fehlgeleiteten Jüngerinnen Sapphos rekrutieren wollen, sollte ich erklären, dass meine Mutter längere Zeit aus freier Entscheidung lesbisch war. Sie argumentiert - übrigens durchaus überzeugend -, dass Menschen mehr sind als das, was sie mit ihren Genitalien zu tun belieben. Und auch wenn vielleicht sogar die Mehrheit der Frauen, die andere Frauen lieben, dies von Geburt an tut, so gibt es ebenfalls viele, die sich zufällig oder mit Bedacht dafür
entscheiden. Sie wurden missbraucht oder
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