Die Kinder vom Teufelsmoor
Sumpf, 'n paar Büsche und die gammeligen Gräben! Was sollste da erleben?«
Es war hoher Mittag, als sie bei Ingelore und den andern Geschwistern ankamen. Die Kleinen empfingen sie mit großem Hallo und guckten sofort neugierig in die Kiste mit den vielen Dosen. »Oh«, rief Walter, »habt ihr das alles geklaut?«
»Quatsch«, sagte Bodo, »das hat uns eine mitleidige Seele geschenkt.« Er hatte keine Lust, seinem Bruder zu erzählen, wie sie an die vielen Dosen gekommen waren. Berti aber berichtete, was sie erlebt hatten.
Die Kartoffeln waren schon gekocht. Hannes öffnete schnell zwei Dosen Erben und zwei Dosen Schweinefleisch und tat alles zusammen in die Bratpfanne. Eine halbe Stunde später saßen sie am Tisch und schmausten.
»Dein Kaufmann ist wirklich ein toller Knabe«, sagte Rolf, »ehrlich! Das schmeckt klasse. Den sollten wir öfter besuchen.« »Ohne mich!« rief Bodo. »Ich mach doch keine Weltreise für 'n paar Dosen Erbsen!« Hannes sah ihn an.
»Wenn du richtig Hunger hast, läufst du sogar zweimal um die Welt für ein paar Dosen Erbsen, sogar für ein trockenes Stück Brot! Aber hab keine Angst, ein zweites Mal gehen wir nicht zu Fidi Butzmann. Was er jetzt noch im Keller hat, muß er nämlich selber behalten. Als Rentner verdient er ja nichts und muß mit jedem Pfennig rechnen. Darum wollen wir ihm seine Vorräte nicht aufessen.« »Heißt das etwa, daß wir morgen richtig auf Klaue gehen?« frohlockte Bodo.
»Nein«, antwortete Hannes, »ihr habt doch selber erlebt, daß von den Leuten im Moor nichts zu holen ist.«
»Das dürfte wohl ein kleiner Irrtum sein«, sagte Bodo. »Ich hab' letztens sogar ein Karnickel mitgebracht!«
»Ich weiß«, sagte Hannes, »und du hast es zufällig einer Frau gestohlen, die es entbehren kann. Aber würde es dir auch schmecken, wenn du wüßtest, daß es einem ganz armen Deubel gehört hat?« »Ein ganz armer Deubel bin ich auch!« Hannes nickte.
»Richtig, aber sollte der eine arme Deubel den andern armen Deubel bestehlen?«
»Klar!« rief Bodo. »Wenn es sein muß!«
»Es muß niemals sein«, sagte Hannes. Und nachdenklich fügte er hinzu: »Und es darf auch nicht sein! Wenn ein Reicher etwas abgibt von seinem Überfluß an einen Armen, dann ist darin ein Sinn zu sehen, dann hat er das Vorhandene besser verteilt. Aber wenn zwei, die fast nichts haben, sich bestehlen, dann haben sie keine bessere Verteilung vorgenommen, sondern nur eine andere, dann ist der Hunger nicht gestillt, sondern es muß nur ein anderer leiden.« »Die Reichen geben nichts ab!« sagte Bodo. »Da kannste lange warten, bis die was rausrücken. Die behalten alles selber und wollen immer noch mehr haben. Die kann man höchstens beklauen!« »Oder man muß selber reich werden!« rief Rolf. »Ich will auch reich werden«, sagte Rena, »ganz reich! Dann kauf ich mir ganz viele Katzen und Hunde und Kaninchen, die können alle im Garten rumlaufen und spielen. Und wenn ich sie rufe, dann kommen sie, und ich kann sie streicheln und füttern.« »Und wenn die Hunde die Karnickel fressen, brauchst du sie gar nicht mehr zu schlachten!« rief Bodo spöttisch.
Hannes leckte seinen Löffel ab und schob den leeren Teller zurück. »Wer reich ist, hat mehr, als er zum Leben braucht«, sagte er, »hat Überfluß. Danach sehnt ihr euch. Im Grunde aber wollt ihr gar nicht zuviel haben, sondern nur genug. Genug, um satt zu werden und ohne Sorgen leben zu können. Und darauf habt ihr auch ein Anrecht, das steht euch zu wie allen Menschen. Nach einem Zuviel solltet ihr nicht verlangen, denn sonst gehört ihr ja eines Tages zu den Reichen, die ihr nicht mögt, weil sie nichts abgeben.«
»Wenn ich reich bin, gebe ich aber was ab«, rief Rena. »Alle Armen kriegen dann was ab von mir.«
»Wenn die Armen mal reich sind und die Reichen arm«, sagte Bodo, »dann ist das nur gerecht, dann braucht man nichts abzugeben.« Hannes nickte.
»Jawohl«, sagte er, »da bin ich ganz deiner Meinung. Der Tausch ist aber nicht möglich, da es viel mehr Arme als Reiche gibt. Es läßt sich nicht einrichten, daß alle Armen reich werden.« »Das ist mir egal«, rief Bodo, »ich werde jedenfalls reich!« Er sah das prächtige Haus vor sich, in dem Carsten-Viktor wohnte, sah den gepflegten Garten mit dem Swimming-Pool, die Schaukeln und die blühenden Rhododendren und wußte, daß so etwas sein Lebensziel war.
Die Geschichte von der Moorleiche
Hannes schlief in dieser Nacht wieder auf seinem Klappbett neben dem Herd,
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