Die Klinge des Löwen 02
des Torbaues zu. Der Mann, der Wache hielt und innen
schläfrig an der Wand lehnte, hörte nur das Trommeln des
Regens auf dem Dach, das jedes andere Geräusch übertönte.
Niemand
von den Burgbewohnern vernahm den gurgelnden Laut des Torwächters,
als ihm der Dolch eines der beiden Eindringlinge in die Kehle fuhr.
Er sank röchelnd in sich zusammen und blieb leblos am Boden
liegen. Die Mörder verloren keine Zeit. Rasch verließen
sie den Bau auf demselben Weg, den sie gekommen waren. Das Tor zu
öffnen und die Zugbrücke herunterzulassen, war das Werk
weniger Augenblicke. Der starke Regen, der jedes Geräusch
verschluckte, rauschte lärmend hernieder, prasselte auf die
Dächer und verwandelte die Erde im Burghof in einen schlüpfrigen
Morast.
Die
zwei Schurken verharrten müßig im Schutze des Torhauses.
Ihre Aufgabe, die Kastelburg einem noch unsichtbaren Feind
preiszugeben, schien erledigt. Sie verhielten sich wie Männer,
die nach getaner Arbeit einem kommenden Ereignis gespannt, aber ruhig
entgegensahen.
*
Die
von Dietrich angeführte Reiterkolonne kam nur langsam voran, so
daß es am Abend notwendig wurde, noch einmal in der Wildnis zu
übernachten. Da es nach Regen aussah, errichteten die Männer
ein Zelt für die Frauen und das Kind. Für sich selbst
bauten sie mit Hilfe dünner Tannenäste ein behelfsmäßiges
Lager, das sie vor der ärgsten Nässe schützen sollte.
Bei
Anbruch der Nacht begann es in Strömen zu regnen. Alles zog sich
in die Unterkünfte zurück, und selbst die eingeteilten
Wachen kauerten sich unter das Schutzdach, um sich vor den immer
wieder niedergehenden Regenschauern zu schützen.
Am
nächsten Morgen, als die Reisenden aufbrachen, um die letzte
Etappe hinter sich zu bringen, schien wieder die Sonne. Dietrich
hatte Giselbert an die Spitze der Kolonne beordert, während er
selbst seinen Rappen zügelte, bis Idas Zelter zu ihm aufgeholt
hatte. Wie unter einem Zwang suchte er ihre Nähe. Er hatte jenen
Augenblick auf dem Felsplateau nicht vergessen, in dem er das
beseligende Wort „Geliebter“ aus Idas Mund vernahm.
Ausgesprochen in einem Augenblick höchster Not, bewies es ihm,
daß sie ihn liebte. Und seither trug er die süße
Gewißheit in seinem Herzen.
Seltsamerweise
sah Ida den Ritter scheu von der Seite an, als er neben ihr
auftauchte. Sein mitunter sensibles Gemüt sagte ihm, daß
die Erinnerung an jenen Augenblick ihr scheinbar peinlich war. Aber
er ignorierte wieder einmal die innere Stimme, die ihn mahnte, der
jungen Gräfin Zeit zu lassen, bis bei ihr das erregende
Geschehnis der jüngsten Vergangenheit in den Hintergrund
getreten und ihre aufgewühlte Seele zur Ruhe gekommen wäre.
Angesichts der knapp bemessenen gemeinsamen Zeit, die ihnen noch
blieb, vermochte Dietrich sich jedoch nicht zu bezähmen und
wollte die schwankende Stimmung Idas nicht wahrhaben. Er hatte nur
Gedanken für die schmerzliche Trennung, die ihnen bevorstand,
sobald sie die Kastelburg erreicht hatten.
„ Geht
es Euch gut, Gräfin?“ fragte er teilnahmsvoll und mit dem
Bedürfnis, sie zum Sprechen zu bringen.
Sie
streifte ihn mit einem unsicheren Blick. Ihre Antwort fiel brüsker
aus, als sie es eigentlich wollte. „Wie es eben geht nach den
abscheulichen Erlebnissen der letzten Tage.“
„ Ja,
es ist wahr. Das war schwer für Euch.“ Er bemühte
sich um einen mitfühlenden Ton, obwohl er als Krieger die
zurückliegenden Ereignisse eher gleichmütig betrachtete, da
sie ja zu einem für ihn und seine Schützlinge guten Ende
geführt hatten. Mit einer Stimme, in die er soviel Wärme
legte, wie ihm angesichts der empfindlichen Laune Idas geraten
schien, fuhr er fort: „Trotz allem geschah etwas, das mich tief
beglückte, Gräfin.“
„ So?“
sagte sie, und er erschrak über den unwilligen Ton. „Was
soll denn das gewesen sein?“
„ Wie?
Wißt Ihr das nicht mehr?“
Sie
musterte ihn mit einer Miene, der nicht zu entnehmen war, was sie
dachte.
„ Ihr
sprecht in Rätseln...was soll ich denn wissen?“
Dietrich
wandte sich einen Moment im Sattel um und tat, als prüfe er mit
kritischem Blick die Reihenfolge der hinter ihnen befindlichen
Reiter. In Wirklichkeit wollte er nur sichergehen, daß niemand
nahe genug sei, um zu hören, worüber er sich mit Ida
unterhielt. Er wandte sich ihr wieder zu und bedachte sie mit einem
gewinnenden Lächeln.
„ Ihr
habt ein kleines Wort ausgesprochen, das mich seither träumen
läßt. Es sind süße Träume, liebste
Gräfin!“
„ Von
Träumen
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