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Die Knochenfrau

Die Knochenfrau

Titel: Die Knochenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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Stummel auf den Boden und trat drauf. Das dünne Papier riss und Tabakkrümel verteilten sich auf dem trockenen, mit blassen Flechten übersäten Asphalt.
    „Die sahen überhaupt nicht gefährlich aus, die Typen. Also nicht wie Leute, die zum Spaß auf jemanden losgehen. Was wollten die von dir?”
    „Nichts Bestimmtes”, antwortete das Mädchen. „Es ist nur einfach so, dass sich Gruppen unter anderem über Ausgrenzung definieren. Jede Gruppe von Menschen braucht jemanden, auf den sie runter schauen und den sie verachten kann. Und ich bin für diese Rolle scheinbar prädestiniert.”
    Lukas zog die Augenbrauen hoch.
    „Was ist denn das für eine Klugscheißerei?”
    „Das ist keine Klugscheißerei, das ist Soziologie.”
    „Und seit wann haben Mädchen in deinem Alter Ahnung von Soziologie?”
    Sie warf ihre Zigarette auf den Boden und lächelte ihn matt an.
    „Normalerweise haben sie das auch nicht. Höchstens solche Freaks wie ich. Fährst du mich nach Hause?”
    „Das biete ich dir schon die ganze Zeit an. Steig ein.”
    Sie nannte ihm eine Adresse am anderen Ende des Dorfes, im schlechten Teil des Ortes, einer der grauen Wohnblocks mit den lachsfarbenen Balkonen. Während der zehn Minuten, die sie durchs Dorf brauchten, erfuhr Lukas, dass das Mädchen neben ihm Yvonne hieß, sechzehn Jahre alt war und auf die Realschule ging. Was die anderen von ihr wollten, das sagte sie nicht … allerdings auch nichts Soziologisches mehr.
    Als die Blocks auftauchten, da fischte Yvonne aus der Ablage der Beifahrertür ein kleines Stück Papier – Lukas drehte nicht den Kopf, er sah es aus dem Augenwinkel – und faltete es zu einem noch kleineren Papierschiffchen. Als sie ausstieg, da ließ sie es auf dem Beifahrersitz liegen. Nach kurzem Zögern beugte sie sich in die Beifahrertür.
    „Ach ja … danke fürs Mitnehmen. Wie heißt du eigentlich?”
    „Kein Problem”, sagte Lukas. Dann sagte er ihr seinen Namen und zwang seine Augen auf ihr Gesicht. Kurz hatte er ihr auf die Brüste gestarrt … ihr Top hing herunter, die Brüste hingen kaum und so sah man alles. Als sie die Tür zugeworfen hatte, da lehnte sich Lukas im Sitz zurück und machte „Puh”. Er hatte einen halben Steifen. Jetzt reiß dich mal zusammen, die könnte fast schon deine Tochter sein.
    Lukas griff nach dem Schiffchen, sie hatte es aus einem alten Kassenzettel gemacht. Er legte das zarte Papierding vorsichtig in die Ablage vor dem Schaltknüppel und sah aus dem Seitenfenster. Yvonne saß auf den grauen Stufen zum Eingang des Wohnblocks und zündete sich gerade eine ihrer Eigenen an. Sie schaute Lukas an und Lukas schaute sie an. Dann legte er den ersten Gang ein, gab Gas, schaltete in den zweiten und fuhr zurück zum Haus der Schneiders.
     
    *
     
    Lukas suchte und fand einen anderen Weg zum Haus seiner ehemaligen Nachbarn, immer am Waldrand entlang. Er vermied die Stelle, an der er vor zwanzig Minuten Yvonne aufgegabelt hatte. Allzu leicht wollte er es den Arschlöchern nicht machen, sein Auto zu finden. Am Haus angekommen parkte er auf dem Bürgersteig direkt vor dem Küchenfenster. Ein brauchbares Versteck für sein Auto hatte er nicht gefunden. Ach scheiß drauf!
    Als Lukas eine der Tiefkühlpizzen in den uralten Backofen schob, da wurde ihm auf einmal unangenehm bewusst, dass er sich entscheiden musste. Sollte er der Bitte der Schneiders nachkommen? Sollte er sich tatsächlich Blut abzapfen? Und wie ging das überhaupt? Bei dem Gedanken, sich eine Metallnadel in den Arm zu stechen, lief es ihm kalt den Rücken herunter. Er hatte das noch nie gemacht, er sah sogar weg, wenn ihm beim Arzt Blut abgenommen wurde, bei so etwas war er empfindlich. Würde er überhaupt eine Vene finden? Hieß das überhaupt „Vene”? Würde er es mit einer Hand hinbekommen?
    Lukas stellte die alte, gelblich-weiße Zeitschaltuhr über dem Herd auf zehn Minuten und ging ins Wohnzimmer. Er zog die Schubladen neben dem Pflegebett auf und fand mehrere in Plastik eingeschweißte Nadeln und Plastikspritzen. „Was für eine Scheiße”, sagte er leise zu sich selbst und knisterte mit dem durchsichtigen Kunststoff. Als er eine Packung mit runden Wattetupfern gefunden hatte, da legte er sich auf dem kleinen Nachttisch ein Set parat: Nadel, Reservoir, Wattetupfer und Desinfektionsmittel. Eine nette kleine Fixerausrüstung … nur dass nicht etwas in ihn hinein, sondern aus ihm heraus musste. Lukas setzte sich auf das Pflegebett, zog sich den Ärmel seines

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