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Die Knochenfrau

Die Knochenfrau

Titel: Die Knochenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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nicht.
    Jetzt war Lukas im Erdgeschoss. Er schlich vorbei an der Flurkommode, an der offen stehenden Küchentür (die Küche war leer und still, nur der Kühlschrank brummte leise vor sich hin) und blieb gebückt in dem kleinen Bogen stehen, der Flur und Wohnzimmer trennte. Lukas wagte es nicht, den Lichtschalter zu drücken. Wenn da irgendetwas war, irgendein Trugbild, das sie verursachte, dann durfte er nichts überstürzen. Er schlich sich ins Wohnzimmer, wie sich ein Jäger an ein scheues, mit feinen Sinnen ausgestattetes Wild heranschleicht.
    Erst sah er sie nicht. Das Wohnzimmer schien leer und dunkel, keine Schatten, die hier nicht hingehörten, nichts bewegte sich. Aber doch war irgendetwas anders als sonst. Als Lukas zum zweiten Mal dieses langgezogene Hmmm hörte, da erschrak er, trat einen Schritt zurück, streckte aber gleichzeitig seinen rechten Arm aus und fand den Lichtschalter.
    „Herrje, Frau Schneider!”
    Sie lag auf der Seite in ihrem Pflegebett, mit dem Gesicht zu ihm. Ihr graues Haar war ordentlich gekämmt, sie trug ein weißes Nachthemd und war bis zu den Schultern zugedeckt. Einige Sekunden stand Lukas wie erstarrt. Deshalb also das Geräusch der Tür. Sie hatten sie nach Hause zurück gebracht. Aber um diese Zeit? Lukas sah auf die Wanduhr, es war schon fast halb acht. Er hatte gedacht, es sei früher. Und ja, diese Frau von dem Pflegeheim, mit der er telefoniert hatte, meinte ja auch, Frau Schneider würde vielleicht wieder nach Hause kommen und dann ambulant betreut werden.
    Lukas ging zu der alten Frau, sie lächelte ihn an.
    „Hallo Frau Schneider.”
    Sie antwortete nicht … natürlich antwortete sie nicht.
    „Puh … Sie haben mir einen Schrecken eingejagt. Ich dachte nicht, dass sie so schnell wieder hier sind. Sind Sie gerade erst gebracht worden?”
    Sie blinzelte einmal. Das stand für Ja.
    „Ich hab die Tür gehört und-” Lukas brachte den Satz nicht zu Ende. Ihm war bewusst geworden, dass er splitternackt vor der alten Frau stand, seine Hüfte auf Höhe ihres Gesichts. Er drehte ihr den Rücken zu und schlüpfte hastig in seine Shorts und in sein T-Shirt. Warum zum Teufel haben die mich nicht geweckt, als sie Frau Schneider gebracht haben? Die haben doch meine Klamotten auf dem Wohnzimmerboden gesehen. Die hätten sich doch denken können, dass jemand im Haus ist.
    „Entschuldigen Sie die kleine Strip-Einlage … also dass ich hier nackt herumlaufe. Mir hat keiner Bescheid gesagt, dass Sie heute gebracht werden … obwohl sie in dem Heim ja meine Nummer haben.”
    Die alte Frau lächelte ihn an und zwinkerte ihm zu. Er nahm es als Kompliment, fast musste er lachen. Er ging näher ans Bett heran und sah Frau Schneider ins Gesicht. Sie war blass und hatte trockene, aufgesprungene Lippen. Bei seinem Besuch im Krankenhaus vor fast einer Woche hatte sie noch besser ausgesehen.
    „Kann ich was für Sie tun, Frau Schneider? Soll ich Ihnen was zu trinken holen? Ihr Mund sieht trocken aus.”
    Sie blinzelte einmal.
    „Okay, ich bin gleich wieder da. Ich hol Ihnen ein Glas Wasser.”
    Lukas ging in die Küche, wusch in der Spüle eines der Gläser aus und füllte es mit Leitungswasser. Er erinnerte sich daran, dass im Gefrierfach eine große Packung Wassereis war, vielleicht wollte sie auch so etwas. Er konnte es ihr ja anbieten.
    Als Lukas vor dem Gefrierfach stand und versuchte, die angefrorene Packung mit dem Eis herauszubrechen, da hörte er wieder dieses langgezogene Hmmm. Dieses Geräusch hatte Frau Schneider damals im Krankenhaus nicht gemacht. Und dann kam noch einmal dieses Hmmm, diesmal näher, direkt hinter ihm.
    Lukas drehte sich um, taumelte zurück und prallte gegen den Kühlschrank. „Scheiße! Scheiße! Scheiße!” Das konnte nicht sein! In der Küchentür stand Frau Schneider, die Augen weit aufgerissen, das Haar auf einmal ganz zerzaust, der Kopf auf der Schulter, als wäre das Genick gebrochen. Wie hatte sie es aus dem Bett geschafft? Das konnte, konnte und konnte nicht sein. Lukas drückte sich an den Kühlschrank, schob das Ding an die Wand … und sah, wie Frau Schneider langsam den Mund öffnete. Sie machte ein kratzendes, würgendes Geräusch, sah ihn mit großen Augen an, und zwischen gelblich-braunen Zähnen schob sich ein verklebter, zerdrückter Federklumpen hervor. Der Vogel platschte auf die Küchenfliesen und Frau Schneider lachte wiehernd auf.
    „DU VERDAMMTES DRECKVIEH!”, brüllte Lukas und stürmte auf die lachende Erscheinung zu, lief

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