Die Konkubine
nicht zurück. Fremde Teufel hatten sie ermordet. Der Missionar wollte mir erzählen, dass es Yihetuan gewesen waren. Aber ich wusste es besser. Sie müssen in Ausschreitungen hineingeraten sein. Diese Barbaren haben einfach in die Menge geschossen. Es war ihnen egal, wen sie trafen, ob die Leute nun unschuldig waren oder nicht. Meine alten Eltern konnten ihren Kugeln nicht entkommen. Meine Brüder wurden festgenommen und kurz darauf exekutiert. Es wurde behauptet, sie gehörten zu den Aufständischen. Dabei stimmte das nicht. An diesem Tag schwor ich mir, meine Familie zu rächen.»
«Meili, wie furchtbar! Aber bist du wirklich Christin?»
«Ja, die Missionare schützten uns gegen eine mögliche Verfolgung durch chinesische Behörden. Aber sei unbesorgt, das bedeutet nichts. Ich bin nur eine Reischristin. Ich bin diesem Glauben nicht verpflichtet. Die Missionare kaufen sogar Mädchen von ihren in Not geratenen Eltern, um neue Christen vorweisen zu können. Sie haben Findelhäuser eingerichtet, in denen sie die Kinder ernähren, kleiden und später verheiraten. Viele Eltern legen ihre ungewollten Töchter sogar vor die Türen der Missionsstationen, damit sie dort erzogen werden.»
«Und du? Was ist mit dir geschehen, du warst doch dann ganz allein, Jiejie?»
«Allein? Ich habe keinen Grund zu klagen. Mir ist es jedenfalls erspart geblieben, als Frau eines ungebildeten Bauern zu enden. Yuan Shikai sah mich, als er den Missionar besuchte, und brachte mich bei den Tänzerinnen in Beijing unter. Sie nahmen mich um seinetwillen, obwohl ich eigentlich schon zu alt war. Doch ich habe hart gearbeitet. Nun stehe ich auf der Bühne und habe Liebhaber, die ich aushorche. So konnte ich Yuan schon manchen wichtigen Hinweis liefern, zum Beispiel als dieser deutsche Graf Waldersee mich in sein Bett holte. Und wenn Yuan es befiehlt, dann töte ich. Ich habe eine gute Ausbildung auf den verschiedensten Gebieten. Ich werde dir zeigen, was du tun musst. Triffst du dich denn noch mit diesem Soldaten?»
Mulan nickte. «Ja, nächste Woche.»
«Gut. Spiele mit seinen Gefühlen. Halte ihn hin, locke ihn zu dir, stoße ihn wieder fort, tu alles, was du kannst, damit er deinetwegen vor Liebe den Verstand verliert. Aber halte deine Gefühle im Zaum, bleib innerlich unbeteiligt. So wie ich dich kenne, würde es dir sonst das Herz brechen, meine kleine Träumerin. In der Zwischenzeit werde ich dir zeigen, wie auch eine zierliche Frau einen starken Mann töten kann.»
Mulan senkte den Kopf. Sie erkannte, sie hatte keine Wahl. Aber sie wusste auch, dass sie es nicht konnte. Es blieb ihr nichts, als auf ein Wunder zu hoffen. Sie begriff, dass sie wieder dabei war, sich in Träume zu flüchten, doch es fiel ihr kein anderer Weg ein. Sie würde in den Tempel gehen und um ein Wunder beten.
In den nächsten Tagen lernte sie, was eine Frau mit gebundenen Füßen, eine Frau, die nicht weglaufen kann, zu tun vermag. Sie lernte, schnell und lautlos zu töten. Chen Meili erklärte es ihr: Wer die richtigen Griffe und Schläge, die verletzlichsten Körperstellen kannte, brauchte nicht viel, um selbst einen Riesen umzubringen. Noch nicht einmal viel Kraft. «Nutze die Stärke deines Gegners. Wenn er vorbeistürmt, in seinem Schwung die Richtung seiner Bewegung nicht ändern kann, dann weiche aus und fälle ihn von seiner ungeschützten Seite aus», bläute Meili ihr ein.
Dieser Satz ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Schließlich schickte sie Liu Guangsan eine Nachricht mit der Bitte um ein Gespräch. Er kam am selben Abend.
«Herr, bitte verzeiht dieser Frau, dass sie Euch behelligt. Wir müssen den Soldaten nicht töten. Es gibt eine bessere Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass er keinen Schaden anrichten kann.»
«Und was könnte das sein?»
Sie lachte zum ersten Mal wieder fröhlich und frei. Sie war so glücklich, dass ihr dieser Plan eingefallen war. Er löste alle Probleme mit einem Schlag. Sie würde sich dann auch nicht mehr mit ihm treffen müssen, jedenfalls nicht mehr so oft. Das Gefühl des Verlustes, das dieser Gedanke in ihr auslöste, verdrängte sie. «Wir müssen nur dafür sorgen, dass niemand ihm glaubt», antwortete sie.
«Und wie stellst du dir das vor?»
«Der weise Sun Zi hat gesagt: Folge den taktischen und strategischen Regeln, sei aber gleichzeitig bereit, dir die Umstände zunutze zu machen. Unter den Deutschen herrscht zurzeit höchste Aufmerksamkeit. Wir werden einfach das Gerücht verbreiten, dass Ge Kangle selbst
Weitere Kostenlose Bücher