Die Korallentaucherin
dem Wasser, vor dem Meer. Ich verspüre diesen unkontrollierbaren Wunsch, dort unten zu bleiben. Ich schätze, es ist eine Art Todessehnsucht, da mein Bruder ertrunken ist. Und mein Vater, nun, er hat sich im Meer das Leben genommen. Ist einfach verschwunden. Seine Leiche wurde nie gefunden. Vielleicht zieht es mich in die Meerestiefe, um nach ihm zu suchen.«
Mac nahm Jennifer spontan in den Arm. »Jetzt verstehe ich. Aber ich glaube, deine Interpretation dieses Traums ist nicht richtig. Es ist keine Todessehnsucht, kein Schuldgefühl, weil du lebst und sie nicht.« Er schwieg einen Moment, und Jennifer hielt den Atem an. Er entließ sie aus seinen Armen, damit sie sich mit dem Zipfel ihres Sarongs die Augen abwischen konnte.
»Und was glaubst du, was mir fehlt?«
»Jennifer, ich bin kein Psychologe, aber du bist ein einsames Mädchen, das immer versucht, es allen recht zu machen, und die Tatsache, dass es allein seiner Mutter geblieben ist, wie eine Last mit sich herumschleppt. Ich möchte wetten, jedes Mal, wenn sie dich ansieht, wird sie an das erinnert, was sie verloren hat. Das ist eine verflixt schwere Bürde für dich.«
»So habe ich es noch nie gesehen«, sagte Jennifer leise.
Mac lächelte und strich über ihre Wange. »Schätzchen, du bist ein Mädchen, dem der Vater fehlt. Der Bruder. Und alles, was dir Sicherheit und Geborgenheit gab. Wir alle haben Lücken und Schmerzen in unserem Leben – mehr oder weniger. Meine Frau und ich haben unser kleines Mädchen verloren, als sie drei Jahre alt war. Sie fehlt mir auch.«
»Oh, das tut mir leid.« Sie blickte in Macs freundliches Gesicht und erkannte den Schmerz in seinen Augen.
»Wir haben zwei prima Jungs und sind glücklich. Doch die, die fehlt, ist ständig als Schatten präsent. Wir fragen uns, wie sie jetzt aussehen würde, was sie tun würde. Nächsten Monat würde sie achtzehn …« Er unterbrach sich. »Jennifer, nächste Woche kommt jemand her, den du unbedingt kennenlernen musst. Und du solltest Gideon öfter besuchen. Er ist derjenige, der dir viel über das unbekannte Meer erzählen kann.«
Sie verließen das Labor und schlossen die Tür. »Was meinst du mit dem unbekannten Meer?«
»Die Tiefsee, tief unten in der Dunkelheit, wo kein Lichtstrahl hindringt. So tief, dass der Mount Everest hineinpassen würde und noch kilometertief Platz bliebe, so dass Schiffe darüber hinwegfahren könnten.«
Im hellen Sonnenschein auf dem sandigen Platz sah Jennifer ihre Freunde, die sich über einen großen Tank mit Seeschlangen beugten. »Mac, danke.«
»Gern geschehen. Hör zu, ich besorge dir einen Arbeitsplatz, den du dein Eigen nennen kannst. Komm morgen wieder her.«
»Mach ich. Grüße die anderen von mir.«
»Gerne.« Er ging zurück zu seiner Hütte, und Jennifer spazierte durch den sprenkligen Pisonienwald voller flatternder, geschäftiger Noddy-Seeschwalben zurück zur Ferienanlage.
Blair war angekleidet und kam zur Tür heraus, als sie sich auf dem Sandweg näherte. »Du bist spät dran. Kommst du zum Frühstück?«
»Nein, danke, ich habe schon gefrühstückt. Ich dusche rasch und baue dann meinen Laptop auf.« Sie war im Begriff zu fragen, was er heute vorhätte, wusste jedoch, dass er das Gleiche wie immer antworten würde: »Was ich immer mache.« Es deprimierte sie. Doch an diesem Morgen fühlte sie sich, als wäre sie erfrischt und voller Energie aus langem Schlummer erwacht.
»Na gut. Sehen wir uns dann vielleicht zum Mittagessen?«
»Vielleicht.« Jennifer ging ins Bad.
Blair steckte den Kopf durch den Türspalt. »Alles in Ordnung bei dir?«
»Ja. Warum fragst du?«
»Ach, nur so. Seit unserer Rückkehr von Sooty bist du so komisch …« Er brach ab. Entweder wusste er nicht, wie er es anstellen sollte, oder er wollte ihre Schwangerschaft einfach nicht ansprechen.
Jennifer wickelte sich mit heftigen Bewegungen aus dem Sarong und fuhr herum. »Mir geht’s gut, Blair. Eigentlich ging es mir noch nie besser.«
Blair schloss die Tür und dachte sich, dass bisher zumindest die schrecklichen Dinge, die er über Stimmungsschwankungen und morgendliche Übelkeit gehört hatte, noch nicht aufgetreten waren.
Jennifer schlüpfte aus ihrem Badeanzug und betrachtete ihren Körper im Spiegel. Selbst von der Seite gesehen war ihr Bauch noch flach. Sie rieb ihre Brüste. Sie waren eindeutig größer geworden und schmerzten ein bisschen. Sie bog den Rücken durch, streckte den Bauch heraus und imitierte einen Watschelgang. Leise
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