Die Kriegerin der Kelten
trocken. Außerdem haben wir hier den gesamten Morgen über Wache gehalten, und uns ist nichts aufgefallen. Ich denke also, irgendeiner der Inselbewohner hat eine Route gefunden, wie er sicher über die Meerenge schwimmen kann, eine Route, von der wir nichts wissen. Und außerdem verpassen wir auf diese Weise noch die Flut.«
Ursus spürte, wie ihm alles Blut aus dem Gesicht wich. Jene Route, die sie über die Meerenge nehmen wollten, war ihnen von einem Silurer empfohlen worden, einem Mann, der sein ganzes Leben damit verbracht hatte, zwischen der Insel und dem Festland zu kreuzen. Und zwei Dinge hatten damals für alle festgestanden: Zum einen war man der Überzeugung gewesen, dass dies die einzig sichere Route sei, und zum anderen hatte der Silurer hervorgehoben, dass die Überquerung der Meerenge unbedingt vor dem Gezeitenwechsel abgeschlossen sein müsste. Die Inquisitoren hatten den für die Planung Verantwortlichen geschworen, dass diese Informationen auf jeden Fall verlässlich seien. Der Mann, der ihnen sein Wissen für eine beträchtliche Menge an Gold hatte verraten wollen, war die ganze Befragung über bei der gleichen Aussage geblieben, selbst dann, als seine Hoffnung auf Reichtum längst vergessen war und er sich nur noch einen baldigen Tod wünschte. Die Inquisitoren irrten sich alles in allem also nur sehr selten. Andererseits hatten jene wenigen Male, wenn sie ihren Opfern doch einmal die falschen Informationen abgepresst hatten, sich stets zu den übelsten Katastrophen des gesamten Kavallerieflügels entwickelt …
Mit schwacher Stimme entgegnete Ursus: »Wir werden alle sterben.«
»Vielleicht.« Die Legionare hatten Aufstellung genommen, und Corvus hob die Hand. Überall entlang des Strandes, vom einen Anleger bis zum anderen, schwangen die Bataver und Gallier sich wie mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung in ihre Sättel. Die Sonne schenkte ihnen ihren Segen, und die zartgrünen Wogen umplätscherten sanft die Hufe ihrer Pferde.
Mit einem aufmunternden Grinsen wandte Corvus sich zu seinem Zweiten Dekurio um. Das Gesicht des Präfekten war ruhig, keinerlei Angst spiegelte sich mehr in seinen Zügen. Das heißt, falls dort überhaupt jemals so etwas wie Furcht zu lesen gewesen war. Sein Blick war klar und von einer fast schon schmerzhaften Lebendigkeit. Ursus schaute Corvus in die Augen und erinnerte sich mit einem Mal wieder daran, dass sein Kommandeur schon einmal Schiffbruch erlitten hatte und dabei beinahe ertrunken wäre. So etwas durchlebt zu haben und dennoch dazu in der Lage zu sein, seine Truppe in voller Rüstung über ein ihnen allen unbekanntes Gewässer zu führen, verlangte mehr Mut, als man jemals irgendeinem Mann abverlangen sollte. Ursus’ Wangen glühten, und das aus mehr als nur einem Grund.
Der Präfekt schaute seinen Zweiten Dekurio misstrauisch von der Seite an. »Ich glaube«, sagte er mit scharfer Stimme, »es wäre klüger, wenn du nicht allzu genau darüber nachgrübeltest, wie diese Bündel in die Boote gelangt sind oder was die Wilden wohl sonst noch alles gegen uns planen. Und denk vor allem nicht daran, was uns dort auf der Insel erwartet. Schieb diese Gedanken weit von dir, wenn wir ins Wasser reiten. Mittlerweile können wir an alledem ohnehin nichts mehr ändern, dazu ist es einfach zu spät. Und wenn man in einer Schlacht überhaupt jemals Angst haben sollten, dann nur vor den Dingen, die man auch sehen kann und die einem wenigstens irgendwie bekannt sind. Also, wollen wir losreiten?«
Zu seiner eigenen Überraschung spürte Ursus, wie ein breites Grinsen sich auf seine Lippen stahl und er energisch nickte. Erst dann wurde ihm bewusst, dass man ihn soeben darum gebeten hatte, den Befehl zur Invasion Monas zu erteilen, und dass er diesem Befehl ohne das geringste Zögern nachgekommen war. Rasch öffnete er den Mund, wollte all das sofort wieder zurücknehmen - und überlegte es sich doch noch einmal anders.
Zu seiner Rechten ließ Corvus mit schallendem Lachen den Arm sinken.
Das Meer verschlang sie mit gierigen Wogen.
Kaltes, grünlich schimmerndes Wasser fraß an den Beinen der Pferde. Seetang schlang sich um ihre Fesseln, zerrte sie hinab. Von dem Augenblick an, als die Tiere zu schwimmen begannen und die Männer sich von ihren Rücken gleiten ließen, um neben ihnen herzukraulen, von dem Moment an spürte der Ozean ihre hektischen Tritte und erkannte sie als den Feind.
Corvus schwamm ein gutes Stück vor dem Rest der Kavallerie. Denn das war,
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