Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
und seinen Söhnen in einem Haus mit Blick ins Grüne gelebt hatte. Webster stellte ein wenig frustriert fest, dass ihre Telefonnummer einfach im Telefonbuch stand.
Die Artikel, die nach seinem Tod erschienen waren, erwähnten lediglich, dass er auf einer Einkaufstour in Isfahan getötet worden war. Aber nicht, wie. Man hatte seine Leiche in seinem Hotelzimmer gefunden, und die örtliche Polizei ging bei ihren Ermittlungen von einem groß angelegten Raubüberfall als Motiv aus: Die ursprünglichen Berichte, die von der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur verbreitet wurden, erwähnten, dass in seinem Besitz viele Quittungen gefunden worden waren und dass es sich bei dem Täter wahrscheinlich um einen von Mehrs »Komplizen« aus seinem »Schmugglerring« handelte. Die Gegenstände, die angeblich fehlten, konnten nicht identifiziert werden, aber es gab Spekulationen, dass es sich um »nationale Kunstschätze« handle, die aus Museen und von Ausgrabungsstätten gestohlen worden waren. Es hatte einen Kampf gegeben, aber weder Mehrs Brieftasche noch sein Reisepass waren entwendet worden.
Diese Darstellung hatten internationale Agenturen und anschließend die meisten britischen Zeitungen übernommen, die außer ein paar biografischen Eckdaten zu Mehr kaum etwas hinzufügten. Er besaß eine doppelte Staatsangehörigkeit; als Jugendlicher hatte er den Iran verlassen und war nach London gezogen, wo er Anfang der 1980er seine Firma gegründet und 1990 seine Frau, Jessica, geheiratet hatte. Er war Leiter der Qazai Foundation und in der Londoner Kunstwelt eine »hochgeschätzte Persönlichkeit«. Die Geschichte hielt sich ein, zwei Tage und wurde vereinzelt um einen Kommentar zur Mordrate im Iran und Ähnlichem ergänzt, doch innerhalb einer Woche war sie aus den Medien wieder verschwunden.
Webster hatte sämtliche Artikel mehrmals gelesen und war nicht überzeugt. Zunächst einmal war er nicht sicher, ob Mehr seine Schätze, falls es überhaupt welche gab, in seinem Hotelzimmer aufbewahrt hätte, oder dass ein Schmuggler für jedes Stück der Schmugglerware eine Quittung verlangte. Aber vor allem störte ihn der Tonfall, in dem die iranischen Artikel verfasst waren – als hätte man die Angelegenheit umgehend aufgeklärt, zu einem glatten Abschluss gebracht und zu den Akten gelegt. Das erinnerte ihn an ähnliche Erklärungen zum plötzlichen Tod unliebsamer Personen, die er allzu oft in Russland gehört hatte.
Der Mord ging Webster nicht mehr aus dem Kopf, weil er einerseits ein Rätsel war und Webster andererseits nicht glauben konnte, dass es zwischen Qazai, den man der Schmuggelei bezichtigte, und Mehr, der deswegen sterben musste, keine Verbindung geben sollte. Allerdings schien es ein Rätsel zu bleiben. Webster hatte mit den ausländischen Journalisten gesprochen, die über die Geschichte berichtet hatten, aber sie konnten ihm auch nicht mehr erzählen als das, was bereits veröffentlicht worden war. Bei zwei iranischen Oppositionsgruppen hatte er einen Informanten aufgetan, einen in London, einen in Paris, aber keiner der beiden hatte etwas Neues für ihn. Er hatte es sogar beim Außenministerium versucht, aber dort hatte man ihn nüchtern und höflich mit dem Verweis auf frühere Stellungnahmen in dieser Angelegenheit abblitzen lassen.
Kurzum, seine Ermittlungen hatten nichts ergeben, nicht den geringsten Fingerzeig, und jetzt waren die Mehrs die einzigen Leute, die er noch anrufen konnte. Bei dem Gedanken daran sträubte sich zwar sein Gewissen, aber er fand eine Rechtfertigung dafür: Immerhin bestand die Möglichkeit, dass Mrs. Mehr es begrüßte, wenn jemand sich für den Tod ihres Mannes interessierte, ja wenn man ihr Beistand leistete. Sie und Webster hatten ähnlich gelagerte Interessen, das sollte er nicht vergessen – sie wollten beide wissen, warum man ihren Mann getötet hatte, und wer.
Also nahm er seinen Mut zusammen – trotz seiner Rechtfertigungen schämte er sich ein wenig – und rief bei ihr an. Immerhin musste er nur etwas schwindeln; die Nummer stand im Telefonbuch, und er konnte sich als sich selbst ausgeben. Das Telefon klingelte fünfmal, bevor sich eine Frau meldete.
»Hallo?«
»Mrs. Mehr?«
»Ja.«
»Mein Name ist Ben Webster. Ich arbeite für eine Firma namens Ikertu. Darius Qazai ist mein Klient.«
Er wartete, dass sie zur Bestätigung etwas erwiderte, doch am anderen Ende herrschte Schweigen.
»Er hat mich damit beauftragt, einen Bericht zu verfassen. Es geht um seine
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