Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
wären jetzt besser dran.«
»Es ist nicht dein Fehler, Sally. Du hast getan, was du für richtig hieltest.«
Sally wischte sich die Tränen aus den Augen und schüttelte den Kopf, alles andere als überzeugt.
In dieser Nacht konnte Charlotte nicht schlafen. Unablässig drehte sie sich in dem durchgelegenen Bett um, langsam und schwerfällig, und versuchte vergeblich, eine bequeme Lage zu finden und den süßen Schlaf herbeizulocken.
Von irgendwoher im Haus hörte sie einen erstickten Schrei, kurz darauf lief jemand eilig den Gang hinunter. Charlotte dachte wieder an das Baby, das letzte Nacht gestorben war. Sie stand auf, zündete eine Kerze an und machte sich auf den Weg in die Findelkindstation. Als sie die schwere Tür aufstemmte, hörte sie Kinderweinen. Sie ging rasch hinein und schloss die Tür hinter sich.
War dies das Weinen, das sie auch in den anderen Nächten gehört hatte? Das war eher unwahrscheinlich, ihr Zimmer war zu weit entfernt. Sie ging in den ersten Raum mit den schlafenden Säuglingen. Eines der Kinder weinte, ein zweites wachte auf und fing ebenfalls an zu greinen und plötzlich war der Raum erfüllt vom durchdringenden Geschrei der beiden. Charlotte ging zurück in die Halle und sah, wie die mit einer Morgenhaube bekleidete Mrs Krebs, die Augen noch vom Schlaf verklebt, versuchte, ein Fläschchen zu füllen. »Bitte, Charlotte, könnten Sie Ruthie für mich holen? Sie ist eigentlich an der Reihe. Die zweite Tür rechts.«
Charlotte kehrte schon bald mit der schlaftrunkenen rothaarigen Frau zurück, die sich sogleich hinsetzte und begann, die zwei weinenden Kinder zu stillen. Charlotte ging die Bettenreihe entlang und sah, dass noch ein Baby wach war – nach dem Kärtchen am Bett zu schließen, auf dem Geschlecht und Aufnahmedatum des Kindes vermerkt waren, ein Junge. Hin und wieder stand auch ein Name auf dem Kärtchen, aber nur sehr selten. Der kleine Junge lag auf dem Rücken und schaute friedlich ins Zimmer; der Lärm hatte ihn nicht aus der Ruhe bringen können. Charlotte blieb stehen und sah auf das Kind hinunter, dessen Augen im Kerzenlicht glänzten.
Mrs Krebs seufzte. »Anscheinend habe ich das Fläschchen völlig umsonst gefüllt. Normalerweise wacht, wenn eines weint, der ganze Chor auf. Aber bis jetzt sind es nur zwei und damit wird Ruthie allein fertig.«
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich dieses hier füttere?«, fragte Charlotte leise.
»Aber es schreit nicht.«
»Ich weiß, aber er ist wach und ich auch.«
»Wie Sie wollen.« Mrs Krebs stellte das Fläschchen auf den Tisch und verließ den Raum.
Charlotte nahm das Wickelkind hoch. Leicht wie ein Kätzchen lag es in ihrem Arm. Sie setzte sich mit ihm in den Schaukelstuhl, der dem Tisch am nächsten stand, und der Kleine drehte sich sofort zu ihr hin und schmiegte sich an sie. Im ersten Augenblick wich sie instinktiv zurück, den Rücken gegen die Stuhllehne gepresst, leicht verlegen, weil das Kind sich so dicht an ihr Nachthemd presste. Sie blickte sich um, weil sie sich irgendwie schuldig fühlte, wenngleich sie nicht wusste, warum. Aber niemand beobachtete sie. Ruthie blickte in die andere Richtung und schien beim Stillen eingeduselt zu sein und Mrs Krebs war wieder zu Bett gegangen.
Charlottes Anspannung ließ nach und sie gestattete sich, den Säugling fester in den Arm zu nehmen. Sie empfand eine fast schmerzhafte Sehnsucht und wünschte, sie könnte den Kleinen stillen. Sanft strich sie mit dem Finger über die weiche Wange und er wandte sich zu ihr und nahm die Fingerspitze in den Mund. Die Kraft, mit der er saugte, überraschte Charlotte. Er nahm ihren Finger weiter in den Mund, bis sie den feuchten Gaumen und die Zunge spürte, die an der Unterseite ihres Fingers sog. Sie fragte sich, wie es sich wohl anfühlte, ob es wehtun oder angenehm sein würde, wenn sie bald ihr eigenes Kind stillte.
»Heute Nacht musst du dich mit Ziegenmilch zufriedengeben«, flüsterte Charlotte. Mit einem ploppenden Geräusch zog sie ihren Finger aus seinem Mündchen und nahm das Fläschchen in die Hand. Sie neigte es sacht und schob dem Baby die Öffnung in den Mund.
»Soso«, murmelte sie und lächelte, als der Kleine mit großem Ernst anfing zu trinken.
»Wenn du mein hübscher Junge wärst, würde ich dich nicht aus den Augen lassen.« Sie schloss die Augen, während sie das Baby fütterte. Lieber Gott im Himmel , betete sie still, bitte wache über dieses liebe, hilflose Kleine .
Daniel Taylor stand im Dunkel und
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