Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
nicht über sich, die Decke wegzuwerfen. Als ihre Arbeitgeber das Zimmer verlassen hatten, verstaute sie sie wieder ganz unten in der Truhe.
Charlotte leistete sich von den wenigen Banknoten, die ihre Tante ihr vor ihrer Abreise in die Hand gedrückt hatte, ein Hansom Cab 3 . Sie wusste, dass sie diese Fahrt nicht machen sollte, aber der Drang war zu stark. Sie überließ Anne den fähigen Händen von Mae, setzte ihre große Haube mit dem breiten Rand auf, stieg in die Kutsche und nannte dem Fahrer das Fahrtziel.
Sie hatte den Brief ihrer Tante erst gestern erhalten. Amelia Tilney, die nun wusste, dass ihre Nichte in Dr. Taylor einen Verbündeten besaß, hatte ihm geschrieben und sich dafür bedankt, dass er sie über Charlottes Situation in Kenntnis gesetzt hatte. Dem Schreiben hatte ein Brief an Charlotte selbst beigelegen. Ihre Tante hatte sie mit der Neuigkeit aufmuntern wollen, so vermutete Charlotte jedenfalls, doch das war ihr nicht gelungen.
Meine liebe Charlotte,
ich dachte, es würde dich vielleicht freuen zu hören, dass zwei dir seit langem sehr liebe Menschen das freudige Ereignis der Geburt eines Sohnes feiern. Wir alle hatten Sorge, wie es deiner Cousine Katherine angesichts ihres fortgeschrittenen Alters und der gesundheitlichen Schwierigkeiten, unter denen sie gegen Ende der Schwangerschaft litt, wohl ergehen würde. Ich weiß, dass du glücklich sein wirst zu erfahren, dass alles gut gegangen ist und dass Charles und Katherine einen kleinen Sohn haben. Er heißt Edmund. Soviel ich weiß, soll Katherine diesen Mittwoch in St. George's am Hanover Square ausgesegnet werden. Dein Onkel und ich wurden freundlicherweise zur Taufe eingeladen. Unser alter Freund Lord Elton wird ebenfalls teilnehmen; es wird zweifellos ein großes Fest werden. Ich bin sicher, wenn die Situation eine andere wäre, hätten sie dich auch eingeladen. Doch wir wollen nur an die Freude denken, die diese Neuigkeit uns bereitet, und hoffen, dass auch du bald erkennst, dass das Leben weitergeht. Es ist mir nicht leicht gefallen, aber ich hoffe, ich konnte dir deinen Weg ein wenig leichter machen und dass dieser Brief auch in dir Glücksgefühle weckt …
Ihre Tante schrieb außerdem, dass sie unmittelbar nach ihrem Besuch bei Charlotte nach Crawley gefahren war, um selbst mit ihrer Tante zu reden, und dass Margaret Dunweedy sich freute, Charlotte und das Kind bei sich aufzunehmen. Doch Charlottes Gedanken galten im Augenblick ausschließlich der Nachricht von der Aussegnung, die nicht weit von Milkweed Manor stattfinden sollte.
Charlotte traf früh in St. George's ein, schritt zwischen den Säulen der Eingangshalle hindurch und betrat das Kirchenschiff so diskret wie möglich durch eine Seitentür. Sie ging auf Zehenspitzen in der Hoffnung, so das Geräusch ihrer Schritte auf dem Steinboden zu dämpfen, und stieg die Wendeltreppe zur Empore hinauf. Sie wählte einen der hinteren Kirchenstühle, von wo aus sie die Szenerie überblicken konnte, ohne selbst gesehen zu werden, öffnete leise den Riegel und schlüpfte in die Bank. Unter sich sah sie, wie ein beleibter Geistlicher die Kerzen am Altar anzündete, doch außer ihm schien noch niemand anwesend zu sein.
Eine Viertelstunde später ging die Mitteltür auf und eine kleine Gruppe hell gekleideter Frauen trat ein, plaudernd und lachend wie eine bunte Hühnerschar. Charlotte erkannte eine von Katherines Freundinnen, die anderen Damen waren ihr fremd. In ihrer Mitte war Katherine. Sie trug ein hellblaues Ausgehkleid und einen pelzbesetzten Umhang. Ein blauer Federhut krönte das Ensemble. In ihren Armen hielt sie ein Kind … Charlottes Kind, das noch prunkvoller als seine Begleiterinnen in fließenden weißen Satin gehüllt war. Der Unterhaltung der Frauen entnahm Charlotte, dass die kleine Gruppe nach der Aussegnung noch eine elegante Teestube aufsuchen wollte.
Ein anglikanischer Priester in wallender Robe trat ein. Die Frauen verstummten. Er führte sie in eine kleine Kapelle neben dem Chorraum, deren Größe dem intimen Zweck der Zeremonie angemessener war. Dort kniete Katherine nieder, wie es im Book of Common Prayer vorgeschrieben war, und der Gottesdienst begann. Charlotte, die als Pfarrerstochter aufgewachsen war, wusste, dass diese besondere liturgische Form als »Danksagung der Frauen nach der Geburt« bezeichnet wurde.
»Da es dem allmächtigen Gott in seiner Güte gefallen hat, dich in der großen Gefahr der Geburt zu bewahren, sollst du ihm von Herzen
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