Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
doch außer Stöhnen und gemurmelten Flüchen hatte Antonio ihm bisher keine Informationen entlocken können.
Nach einer Weile rappelte der Alte sich in eine sitzende Haltung hoch und lehnte sich mit den Schultern gegen die Wand. »Wer bist du?«, wollte er nuschelnd wissen.
»Mein Name ist Antonio Bragadin.«
Zu Antonios Überraschung zog der Alte sich auf die Füße hoch, strich sich die zerzausten grauen Haarbüschel aus der Stirn und deutete eine formvollendete Verbeugung an. »Gestattet, mein Leidensgenosse: Ich heiße Raffaele Correggio, und von Beruf bin ich Intendant.«
Seine Stimme klang jetzt deutlicher, aber Antonio hatte nicht den leisesten Schimmer, was ein Intendant war. Er überlegte gerade, ob er danach fragen sollte, als der Alte ihm mit seiner nächsten Bemerkung zuvorkam.
»Meine Augen sind nicht mehr die besten, aber du scheinst mir ein noch junger Bursche zu sein. Wie alt bist du?«
»Dreizehn«, sagte Antonio wahrheitsgemäß. Sosehr ihm sonst daran gelegen war, sich älter zu machen, sowenig war ihm seit seiner Verhaftung danach zumute, in diesem Punkt noch länger zu mogeln.
»Du dürftest gar nicht hier sein«, meinte der Alte.
»Das weiß ich selbst«, erwiderte Antonio missmutig. »Ich habe versucht, es den Bütteln klarzumachen, und später auch dem Richter, doch niemand hat mir geglaubt.«
Der Alte beugte sich vor und betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen. »Ich verstehe, wie sie dazu kommen. Du siehst aus wie fünfzehn, eher sogar wie sechzehn.«
»Ich werde im April vierzehn.«
»Nun, dann müssten sie dich freilassen«, schlussfolgerte der Alte. »Zumindest nach einer anständigen Tracht Prügel, würde ich meinen.«
»Was Ihr nicht sagt. Ihr könnt Euch ja beim Rat der Zehn für mich starkmachen.«
»Spott steht dir in dieser Situation nicht gut zu Gesicht, mein junger Freund. Wie lange bist du hier?«
»Vier Wochen.«
»Bist du schon verhört worden?«
»Gleich zu Anfang«, sagte Antonio. Er erinnerte sich voller Ingrimm an die Vernehmung. Zuerst hatten ihn die Büttel für drei volle Tage in eine mit vier Häftlingen vollgestopfte Zelle im Dogenpalast gesteckt, bevor er am Anfang der darauffolgenden Woche einem schlecht gelaunten, unausgeschlafenen Richter vorgeführt worden war. Seine Straftat war anscheinend nicht schlimm genug, um von einem größeren Kollegium abgeurteilt zu werden, aber auch nicht so harmlos, dass man ihn so ohne Weiteres freigelassen hätte. Die Anklage lautete auf Beleidigung und Belästigung des ehrenwerten Herrn Giacomo Cattaneo. Und auf versuchten Diebstahl. Wenigstens hatte Antonio auf diesem Wege den Namen des Schweinehunds erfahren, der Laura fast umgebracht hatte. Er schwor sich, es dem Burschen heimzuzahlen, sobald er ihm das nächste Mal über den Weg lief. Es hieß, dass man seinen Feinden immer zweimal begegnete, und dass das zweite Mal oft den Ausgleich für eine Niederlage brachte, die man beim ersten Treffen hatte einstecken müssen. Antonio glaubte an diese Weisheit – wenn auch mit der Einschränkung, dass er keine Ahnung hatte, ob und wann er hier wieder herauskäme, ohne vorher zu verhungern oder bei lebendigem Leib zu verfaulen.
»Wie war das Verhör?«, wollte der Alte wissen.
»Wie soll es schon gewesen sein?«
»Ich meine, wie lief es ab?«
Antonio zuckte die Achseln. »Der Richter hat mich gefragt, was ich zu den Vorwürfen zu sagen habe.«
»Und wie lauteten die Vorwürfe?«
Antonio erzählte es ihm. »Ich habe erklärt, wie es wirklich war. Dass der Kerl einen Freund von mir belästigt hatte und ich ihm helfen wollte.«
»Welches Urteil wurde gesprochen?«
»Ich kann mich an kein Urteil erinnern. Die Büttel schleiften mich nach der Befragung in dieses Loch, und seitdem sitze ich hier und warte.«
»Ah, ich verstehe. Dann hat das eigentliche Verhör noch gar nicht stattgefunden.«
»Welches Verhör?«, fragte Antonio argwöhnisch.
»Das hochnotpeinliche.«
Antonio schluckte. »Ihr meint ... das Folterseil?«
»Ganz recht, das Tormento .«
»Aber wieso? Ich habe nichts Schlimmes getan!«
»Eben das gilt es, mit dieser Methode herauszufinden. Gerade dafür ist der Strappado gut.«
»Das ist Blödsinn«, versetzte Antonio, doch er merkte selbst, wie unsicher seine Stimme klang. »Das Tormento wenden sie nur bei richtig schlimmen Verbrechen an.«
»Du meinst, die Folter wäre dir lieber, als hier unbesehen für den Rest deines Lebens zu verschimmeln?« Der Alte grinste, und Antonio konnte sehen,
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