Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
auf den Schultern seines Vaters saß und vergnügt vor sich hinbrabbelte, und ein schwarzhaariger Junge mit einer vernarbten Wange, der seine Flucht mit einem Grinsen verfolgt hatte.
Doch niemand hatte ihn aus dem Boot gezerrt. Das Kind hatte noch nicht sprechen können und der Junge hatte es offenbar nicht gewollt.
Also war er unentdeckt geblieben, obwohl der Sklavenhändler auf dem Kai noch eine Weile herumgebrüllt hatte. Dann war er weggegangen, der Himmel mochte wissen, wohin.
Die Dunkelheit und die Kühle der Nacht umgaben ihn von allen Seiten. Er hatte das Netz ein wenig zur Seite geschoben, um in den Himmel zu schauen. Sogar die Sterne waren hier fremd, und dort, wo in seiner Heimat weites, festes Land gewesen war, über das man viele Tage lang wandern konnte, gab es hier nur schwankende Ungewissheit.
Das Meer wogte unter ihm mit stetigem Rauschen und bewegte das Boot träge hin und her. Hin und wieder stieß der Kahn gegen die Kaimauer, und dabei gab es jedes Mal einen Ruck, der ihn daran hinderte, einzuschlafen. Ihm war klar, dass der Besitzer des Bootes irgendwann wiederkehren würde, um zum Fischen hinauszufahren, vermutlich bereits bei Tagesanbruch.
Seine Hand umklammerte das Messer, das er unter den zerrissenen Netzen gefunden hatte. Es war alt und schartig, sicher taugte es nicht einmal zum Fischeausnehmen, doch es war besser als nichts. Es würde ihm dabei helfen, diese Nacht zu überleben.
Lauras Vater nannte das alte Haus, in dem sie lebten, gern Palazzo , doch im Grunde war es nicht mehr als der schmale Anbau eines vornehmen Stadthauses, in dem ein reicher Tuchkaufmann namens Filacenova mit seiner Frau und seinen Söhnen wohnte. Messèr Filacenova war nahezu das ganze Jahr über auf Reisen, und seine Frau, Monna Pippa, führte in seiner Abwesenheit das uneingeschränkte Regiment. Zu Lauras Leidwesen schien sie dieses mit schöner Regelmäßigkeit auch auf den Anbau an ihrem Haus ausdehnen zu wollen.
Laura wusste über die Besitzverhältnisse an dem Anbau nicht genau Bescheid, aber aus diversen Streitereien, die Monna Pippa mit Lauras Vater geführt hatte, war hervorgegangen, dass die Nachbarn der Meinung waren, das Recht an dem Anbau gebühre eigentlich ihnen selbst.
Lauras Vater hatte bei einer der Unterhaltungen ein Besitzdokument herausgekramt, mit dem er belegen konnte, dass der im vorigen Jahr verstorbene Vater von Messèr Filacenova ihm das Wohnrecht an dem Gebäudeteil übertragen hatte.
Monna Pippa war nichts Besseres eingefallen, als zu keifen, dass Lauras Vater diese Urkunde vermutlicht selbst gemalt habe.
Dann wieder gab es Tage, an denen Monna Pippa um ihn herumscharwenzelte wie um den Stadtheiligen persönlich.
»Messèr Monteverdi, meint Ihr nicht, Ihr könntet unsere Fassade auch so schön bemalen wie die von Eurem Haus? Eine Marmorverkleidung stünde auch zur Debatte, aber eine Bemalung ist eher das, wonach mir der Sinn steht. Ich hätte gerne den heiligen Franziskus mit seinen Tieren. Natürlich gegen gutes Geld!«
»Ach, ist es auf einmal doch mein Haus?«
»Nun ja, damit müssen wir uns wohl abfinden, obwohl wir mit unseren vielen Kindern und all den Dienstboten weiß Gott zusätzlichen Platz bitter nötig hätten!«
Guido Monteverdi, stets die Sanftmut und Großzügigkeit in Person, hatte nicht gezögert, den Wunsch seiner Nachbarin nach einem Al-fresco -Wandgemälde zu erfüllen, sogar mehr noch: Er hatte neben den vereinbarten zehn verschiedenen Tierarten zusätzlich drei weitere hinzugemalt, die alle anderen in den Schatten stellten. Es waren Fabelwesen, ein schimmernd weißes Pferd mit einem gedrechselten Horn an der Stirn, ferner ein graues Ungetüm auf gewaltigen Tonnenbeinen und herausragenden, nach oben gebogenen Zähnen und schließlich einen Feuer speienden Drachen mit durchsichtigen, peitschenden Flügeln.
Laura hatte fest damit gerechnet, dass Monna Pippa einen Wutanfall bekommen würde, sobald sie diese Tiere sah, doch als die Tücher, die ihr Vater zum Schutz gegen Sonne und Regen vor das Gerüst gespannt hatte, weggezogen wurden, hatte die Kaufmannsgattin mit weit offenem Mund die Fassade angestarrt, und es hatte schier endlose Augenblicke gedauert, bis sie unsicher hervorgestoßen hatte: »Ihr seid wahrlich ein Künstler, Messèr Monteverdi.«
Sogar ihre vier Söhne, lauter mondgesichtige und dickliche Quälgeister im Alter zwischen sechs und vierzehn Jahren, hatten sprachlos auf der Fondamenta gestanden und das Wandbild bestaunt.
Die
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