Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
meinen Glaubensgenossen die Stadt verlassen, weil die Condótta endete?« Er hieb sich mit der Faust in die flache Hand. »Also tat ich den zwingend notwendigen Schritt und ging zum Priester der für mich zuständigen Contrada. Ich erbat die Taufe.«
»Das weiß ich doch alles, Isacco.«
»Nichts weißt du«, herrschte er sie an. »Du weißt zum Beispiel nicht, dass ich es ehrlich meinte! Wie kann man den Herrn missachten, indem man seine Sakramente missbraucht? Der Heiligkeit des Glaubens spotten, indem man vorgibt, den Messias zu verehren, wo man in Wirklichkeit zweifelt?« Er schüttelte den Kopf. »O nein, Laura. Ich wollte es richtig machen. Ich habe das Neue Testament studiert. Ich habe die Schriften der Apostel gelesen, und ich wurde zu einem der glühendsten Anhänger des Jesus von Nazareth. Ich betete zur Muttergottes, ich lernte die Namen der Heiligen.« Bebend ballte er die Fäuste. »Morgen begehen die Christen den Tag der heiligen Marina, hättest du das gewusst?«
Laura schüttelte stumm den Kopf. Betroffen schaute sie ihn an, außerstande, sich seinem Leid zu entziehen.
Er schlug sich mit der Faust gegen die Brust. »Ich sagte mir, ich wolle ein guter Christ sein, so wie ich vorher ein guter Jude gewesen war. Ich war es meiner Mutter schuldig und ihrem neuen Glauben, der nun nach der Taufe auch der meine war. Aber ich konnte es nicht. Der Herr möge mir beistehen, ich konnte es nicht!«
Die letzten Worte brachen in einem Aufschrei aus ihm heraus. Anschließend blieb er, immer noch zitternd, vor Laura stehen, die Arme schlaff herabhängend, wie zum Beweis seiner Machtlosigkeit in dieser Angelegenheit.
»Mein Vater verlor das Kind, das er in Sünde gezeugt und als das seine angenommen hatte. Gott hatte ihn gestraft. Danach wurde alles anders. Er konnte zu Besuch kommen, denn es gab eine neue Condótta, an deren Zustandekommen er maßgeblich beteiligt war. Er war nun häufiger bei uns. Er versuchte nicht nur, mir ein guter Vater zu sein, sondern erwies sich auch als achtbarer Jude, in seinem Auftreten ebenso wie in seinen Gebeten. Er respektierte unseren christlichen Glauben, aber gleichzeitig trug er selbst den gelben Hut der Juden mit Würde und Duldsamkeit, egal wie viel Verachtung ihm deswegen von allen Seiten entgegenschlug.«
»Er wurde nicht verachtet«, brachte Laura mühsam hervor.
»Du begreifst das nicht«, erwiderte Isacco müde. »Du hast nie die gemeinen Bemerkungen gehört oder hasserfüllten Blicke gesehen, die jenen gelten, die den gelben Hut tragen. Nur Juden wissen, wie sich das anfühlt, und du gehörst nicht zu ihnen.«
»Du aber auch nicht«, stellte Laura leise fest.
Verloren in seiner Hilflosigkeit erwiderte er ihren Blick. »Ich dachte, ich könnte es. Wieder zurückfinden zu meinen Wurzeln. Zu dem, was mir angestammt war. Aber es geht nicht.«
»Weil dir der Glaube an Jesus Christus wichtiger ist?«
Isacco lachte bitter auf. »Laura, wie naiv du bist! Wenn es nur darum ginge! Mit derselben Inbrunst, die mir einst zum Glauben an den christlichen Erlöser verhalf, vermochte ich diese Auffassung auch wieder umzukehren. Was einmal funktioniert, geht auch ein zweites Mal. Du siehst doch selbst, wie leicht es mir fällt, auf den Kirchgang zu verzichten und von den christlichen Gebeten Abstand zu nehmen. Allein das koschere Essen – es ist so viel einfacher, die mosaischen Gebote zu befolgen, als zu speisen und zu trinken wie ein Goj.«
»Woran liegt es dann, dass du kein Jude sein kannst?«
Er zog den Hut wieder aus seinem Ärmel. »Daran«, sagte er schlicht. »Ich kann ihn nicht tragen. Ich habe es versucht, weiß Gott. Jeden Abend bin ich hier in Padua durch die Gassen marschiert, den Hut auf meinem Kopf. Aber ich bringe es immer nur am anderen Ende der Stadt über mich, wo niemand sonst mich je sieht, und sogar dort schaffe ich es höchstens von einer bis zur nächsten Ecke. Dann, nach wenigen Schritten, verlässt mich der Mut, und der Hut verschwindet wieder in meinem Ärmel. Er ist schlimmer als das Kreuz Christi. Kein Brandzeichen könnte schmerzhafter sein als dieses Stigma. Mein Glaube ist nicht fest genug, um solche Schmach zu erdulden. Ich bin stärker als meine Mutter, aber so viel schwächer als mein Vater. Auf immer werde ich zwischen ihnen stehen, Laura. Niemals werde ich wissen, wohin ich wirklich gehöre.«
Überwältigt von seinem Dilemma blickte Laura ihn an. Seine Miene war starr vor Anspannung, und mit einem Mal wusste sie, dass er noch nicht alles
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