Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
mehr als Hure, das würde er nicht dulden.«
Antonio ging zu der Wiege und schaute hinein. Er wusste nicht, was er erwartet hatte, aber er war dennoch überrascht, als das Kind ihn mit offenen Augen anschaute. Die fuchtelnden Ärmchen des Säuglings bewegten sich in seine Richtung, als wolle der Kleine auf sich aufmerksam machen.
Antonio räusperte sich. »Wie alt ist er?«
»Zwei Monate.«
»Er ist unverkennbar dein Sohn.«
»Und der von Marcello.«
Das war nicht nur so dahingesagt. Die milchig helle Haut, der weißblonde Flaum, der das Köpfchen bedeckte, die himmelblauen Augen – kein Mensch hätte je auf den Gedanken verfallen können, ein Mohr sei der Vater des Kindes.
»Ich hatte gehofft, er hätte dunkles Haar und braune Haut«, kam es vom Bett. Valeria hatte sich auf einen Ellbogen gestützt und blickte ihn aus blutunterlaufenen Augen an. »Ich habe es mir so sehr gewünscht!«
»Hör auf, dich deswegen zu grämen, das führt zu nichts. Akzeptiere es so, wie es ist, und werde gesund.«
»Dass es vom falschen Vater stammt, ist nicht einmal das Schlimmste. Viel ärger ist, dass das Kind mich hässlich gemacht hat. Meine Brüste hängen, mein Bauch ist wulstig und voller Narben. Zwischen den Beinen bin ich bei der Geburt zerrissen, es tut immer noch weh wie die Hölle. Bis vor kurzem konnte ich nicht sitzen. Außerdem litt ich an Wochenbettfieber und wäre fast gestorben.« Valeria fing an zu weinen, mit unheimlichen, fast lautlosen Schluchzern. »Und kaum fange ich an, mich wieder halbwegs menschlich zu fühlen, werde ich erneut krank! Und diesmal, das weiß ich genau, werde ich sterben.«
»Die Krankheit geht vorbei«, meinte Antonio beschwichtigend. »Du wirst dich bald besser fühlen. Dann sieht die Welt wieder ganz anders aus.«
»Du hast doch keine Ahnung!« Ihr Kopf fiel zur Seite. »Nichts weißt du. Nichts. Dir ist doch immer alles nach Plan geraten, Antonio Bragadin.«
Mitleid erfasste ihn, aber er wusste nicht, was er noch sagen sollte. Aus ihrem Elend würde er sie ohnehin nicht befreien können. Das konnte nur sie selbst schaffen.
»Wo ist er überhaupt? Carlo, meine ich.«
Valeria wandte ihm ihr bleiches Gesicht zu. »Ich habe ihn seit Monaten nicht gesehen.«
»Seit wann genau?«
»Seit ... der Geburt. Er verschwand gleich danach.« Sie holte mühsam Luft. »Du weißt ja, wie er ist.« Sie hatte aufgehört zu weinen, doch ihr war deutlich anzumerken, welche Kraft sie die Unterhaltung kostete. »Carlo ist überall und nirgends. Er ist ein Meister des Versteckens und Verschwindens. Er taucht auf wie ein Schatten, und ebenso schnell ist er wieder fort.«
»Es gibt wichtige Geschäfte, in die ich ihn einweihen will. Falls du ihn siehst oder von ihm hörst – richte ihm bitte aus, dass er zu mir kommen soll.« Er zögerte. »Hast du von Cattaneo gehört?«
»Nein, nichts. Aber keine Sorge. Sollte ich erfahren, wo er sich aufhält, wirst du der Erste sein, den ich informiere.«
»Irgendwann wird er zurückkommen. Und dann wird er durch meine Hand sterben. Es sei denn, Carlo ist schneller.«
Sie sagte nichts dazu, sondern schloss erschöpft die Augen. Antonio fürchtete, dass sie einschlafen könnte, bevor er ihr die eine wichtige Frage stellen konnte, deretwegen er hergekommen war.
Das Kind fing wieder an zu weinen, doch das schien Valeria nicht zu kümmern. Ratlos stand Antonio vor dem schreienden Säugling und überlegte gerade, ob er nicht besser sofort losmarschieren sollte, um eine Amme zu suchen, als Moresina endlich eintraf. Außer Atem kam sie ins Zimmer geeilt und nahm das Kind aus der Wiege. »Mein Kleiner, mein armer Liebling, ich bin wieder hier! Und ich habe eine Amme mitgebracht, die beste Amme von Venedig! Sie heißt Lodovica und hat schon hunderte von Kindern gestillt! Jetzt wird alles gut, du wirst sehen!«
Mit missfälliger Miene wandte sie sich Antonio zu. »Ihr solltet jetzt sofort gehen, Messèr Bragadin. Lodovica muss das Kind stillen.« Sie deutete auf eine dickliche Frau, die in der offenen Tür stand und einfältig grinsend vor sich hin summte. Ihr fehlten etliche Zähne, und das Haar hing ihr in struppigen Büscheln unter der Haube hervor. Als sie den Säugling sah, leuchteten ihre Augen in stiller Freude auf. Sie mochte schwachsinnig sein, aber offenbar ging sie in ihrem Beruf auf.
»Kann sie es nicht woanders stillen? Mein Gespräch mit Monna Valeria ist noch nicht beendet.«
Die Magd betrachtete ihn mit kaum verhohlener Empörung. »Es schickt
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