Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
beim Wasserholen gesehen hatte, kam schreiend auf den Campo gestürzt. Ihre Worte waren nicht zu verstehen, aber der Inhalt war unschwer zu deuten. Aus einem der Häuser wurden zwei leblose Körper gezerrt und dicht am Kanal liegen gelassen. Kurz darauf fingen die Glocken an zu läuten, außerhalb der gewohnten Zeit und schneller als sonst. Pestfahnen wurden an den Fenstern gehisst, und waren im Licht des hereinbrechenden Tages zunächst zwei davon zu sehen, so erhöhte sich ihre Anzahl im Laufe des Vormittags auf ein rundes Dutzend.
Laura, Mansuetta und Matteo saßen in der Küche beisammen und beteten. Antonio streifte durch Küche, Eingangshalle, Mezzanin und Andron wie ein unruhiges Raubtier. Er wollte nach oben, den Männern helfen, doch gleichzeitig drängte es ihn, seine Frau und den Rest der Familie in Sicherheit zu bringen. Ihm waren jedoch die Hände gebunden, bis der Arzt eintraf. Der ließ indessen auf sich warten, weil es noch viele andere Fälle der Krankheit gab. Die Küchenmagd berichtete bei ihrer Rückkehr weinend, dass sie auf ihrem Weg ganze Häuserzeilen gesehen habe, die von der Seuche heimgesucht waren. Die ersten Pestboote waren unterwegs, um die Leichen einzusammeln. In grausiger Endgültigkeit beförderten sie ihre Totenfracht über den Kanal davon. Überall wurden Feuer angezündet, in denen Kräuter verbrannt wurden, um durch heilende Dämpfe den Pestbrodem zu vertreiben. Pestärzte tauchten auf, die Körper in lederne Mäntel gehüllt und vor den Gesichtern dämonisch aussehende, schnabelartige Masken, um damit den Dunst der Verderben bringenden Krankheit von sich fernzuhalten.
Der jüdische Arzt traf kurz nach dem Terzläuten ein. Anders als seine Berufskollegen war Simon nicht maskiert, was darauf schließen ließ, dass er die Pest bereits überlebt hatte. Als Antonio ihm sagte, dass die Kranken im oberen Stockwerk untergebracht seien, nickte Simon zustimmend und erklärte, dort seien sie am besten aufgehoben, weil die Dünste der Krankheit dann ungehindert nach oben fortziehen konnten, ohne auf ihrem Weg die Gesunden zu streifen. Er verlangte nach einem Krug Essig und einem weiteren mit Wasser und stieg dann die Außentreppen hinauf, um nach den Erkrankten zu sehen und sie zu versorgen. Als er zurückkehrte, war seine Miene bedrückt. Er blieb in sicherer Entfernung von der Familie stehen, einen durchdringenden Geruch nach Essig verbreitend.
»Euer Hauslehrer ist gestorben, wie Ihr es schon befürchtet hattet«, sagte er zu Antonio. »Ich werde ein Pestboot herschicken. Die Totengräber werden den Leichnam nach unten holen. Tut das auf keinen Fall selbst.«
»Wo wird er hingebracht?«, fragte Mansuetta. Ihr Gesicht war starr vor Schmerz und Trauer. »Wird er würdig bestattet?«
»Pestleichen werden für gewöhnlich in Sammelgräbern beerdigt.«
»Mit anderen Worten, er wird verscharrt wie ein Hund«, entfuhr es Mansuetta.
Matteo, der sich schutzsuchend an ihre Seite drückte, brach in Tränen aus.
Der Arzt betrachtete den Jungen mitleidig, bevor er weitersprach. »Die beiden jungen Burschen sind in einem kritischen Zustand, der eine Bruder noch schlimmer als der andere. Einer der zwei hat schwarze Flecken bekommen, er wird wohl heute noch sterben.«
Abermals schluchzte Matteo laut auf, und diesmal stimmte Mansuetta mit ein. Sie presste den Jungen an sich und drückte ihr Gesicht in sein Haar. Weinend wiegte sie das Kind und damit auch sich selbst, als könne sie auf diese Weise das Entsetzen dämpfen.
Laura streckte die Hand aus und tastete nach der von Antonio. Er zog sie in seine Arme und hielt sie fest.
»Der andere Zwilling – derjenige mit der Narbe an der Lippe – hat bisher nur Beulen bekommen; er kann es überleben. Heute Abend werde ich wiederkommen und nach ihm sehen. Wenn die Beulen zu der passenden Größe geschwollen sind, werde ich Inzisionen vornehmen. Mit anderen Worten, ich werde die Beulen öffnen, damit der Eiter abfließen kann. Bis dahin werde ich Euch eine Pflegerin schicken, die sich um die Kranken kümmert. Sie wird sie waschen, mit kühlenden Umschlägen das Fieber lindern und ihnen zu trinken geben. Sie wird ihr eigenes Essen mitbringen und die Außentreppe nehmen, und berichten wird sie nur mir. Ihr werdet mit ihr nicht in Kontakt treten, sicher ist sicher.«
»Was ist mit Raffaele?«, fragte Antonio ruhig.
Zum ersten Mal hellte sich die Miene des Arztes ein wenig auf. »Bei ihm bestehen die besten Aussichten. Er hat Fieber und leichte
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