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Die Lanze des Herrn

Die Lanze des Herrn

Titel: Die Lanze des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaud Delalande
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sammeln. Daran waren mehrere Hundert Personen beteiligt, sowohl solche geistlichen Standes als auch Laien. Einige von ihnen trugen geistliche Gewänder, ohne jedoch die heiligen Weihen empfangen zu haben. Zu dieser Gruppe gehörte auch Anselmo. Er hatte auf das Priesteramt verzichten müssen, aber immerhin waren die Spionage und die Sicherheit des obersten Pontifex höchst wichtige Aufgaben. Wenn jemand darauf verfiel, ihn zu fragen, wie er seinen Glauben mit dem in seinem Beruf manchmal notwendigen Rückgriff auf Gewalt vereinbarte, zitierte er ganze Passagen aus dem Werk Augustins und seiner Rechtfertigung des gerechten Krieges. Er hatte sich lange mit den seiner Arbeit innewohnenden Widersprüchen auseinandergesetzt und sich manches Mal innerlich zerrissen gefühlt. Gottes Werk, die Gerechtigkeit der Menschen! Man brauchte Leute wie ihn. Dennoch dachte er ab und an mit Bedauern an seine lombardischen Träume zurück.
    Er hatte Judith schon mehrfach begleitet und war schon seit längerer Zeit ihr Schutzengel. Sie verstanden sich ohne große Worte.
    Sie lächelte.
    »Sie sind nicht verpflichtet, den Auftrag anzunehmen, Judith«, sagte Dino.
    Die junge Frau senkte den Blick.
    Sie wischte einen Fussel von ihrem schwarzen Rock, wandte sich dem Direktor der Sammlungen zu und fragte:
    »Wann soll es losgehen?«
    Die weißgelbe Fahne des Vatikanstaats mit dem Schlüssel Petri und den drei Kronen flatterte leise im Wind über dem Petersdom. Judith verließ Lorenzos Büro tief in Gedanken versunken. Sie dachte noch einmal über alles nach, was sie erfahren hatte, den Aktenordner mit dem Vermerk »Vertraulich« unter dem Arm. Anselmo war bei Dino Lorenzo geblieben.
    Die Lanze… wiedergefunden in Megiddo… der Funke der Apokalypse…
    Sie fuhr jäh aus ihren Gedanken auf, als sie ein Geräusch hörte. Und dann sah sie ihn am Ende des Korridors um die Ecke kommen.
    Er trug eine Kalotte, Soutane und einen feinen Wollmantel, auf Hochglanz polierte bordeauxrote Halbschuhe, ein goldenes Brustkreuz und an seiner Rechten den Fischerring. Der Papst näherte sich gemessenen Schrittes.
    Er strahlte dieselbe Energie, dieselbe Noblesse und dieselbe Siegesgewissheit aus wie stets. Seit ihrer ersten Begegnung vor sieben Jahren hatte sein tiefschwarzes Haar einige graue Strähnen bekommen. Doch das änderte nichts an der Ausstrahlung des großen Menschenführers, an die Judith sich noch aus seiner Zeit als Kardinal erinnerte. Clemens XVI. war umgeben vom Stab seiner Berater, unter denen die junge Frau die Kardinäle Nabisso und Acquaviva erkannte. Sie blieb stehen. Bei ihrem Anblick schenkte der Heilige Vater ihr das strahlende Lächeln, das allein ihm eigen war, und verlangsamte den Schritt, bis er vor ihr stand. Er war gut zwei Kopf größer als sie.
    Langsam kniete sie nieder und küsste den Fischerring.
    Dann sah sie zu ihm auf und lächelte ebenfalls.
    »Stehen Sie auf, Judith«, sagte der Papst. »Ich meine verstanden zu haben, dass Dino Lorenzo Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen hatte.«
    »So ist es, Heiliger Vater. Ich komme gerade aus seinem Büro.« Dass sich der Papst und sein Schützling gut verstanden, war unübersehbar. Kennengelernt hatten sie sich bei der Beerdigung Jitzhak Witzbergs, einem alten Freund des Papstes, bei dem Judith Kunstgeschichte studiert hatte. Professor Witzberg war ermordet worden. Kardinal Angelico war in die Affäre verwickelt gewesen, und so war Judith gegen ihren Willen in die Stürme um die Papst Nachfolge hineingezogen worden. Der Papst erinnerte sich noch, wie er sieben Jahre zuvor auf dem Platz vor Notre-Dame in Paris die junge Frau entdeckt hatte, die sich einen Weg durch die Menge bahnte, um mit ihm zu sprechen. In der Halle des Flughafens in Roissy hatte er sie wiedergesehen und begriffen, was vorging. Damals flog er nach Italien zurück, wo das Konklave vorbereitet wurde. Das nächste Mal waren sie sich am Mont-Saint-Michel begegnet, als die Bucht vom hellen Sonnenlicht überflutet war. Er hatte noch vor Augen, wie Judith den Gabriel-Turm betrachtete, dessen Spitze in den Himmel ragte.
    Plötzlich verdüsterte sich seine Miene.
    »Lorenzo hat Ihnen wohl gesagt, dass ich in einer Angelegenheit, die uns sehr beunruhigt, an Sie gedacht habe…«
    »Ich reise morgen. Anselmo begleitet mich.«
    »Ja… Da werden Sie in guten Händen sein. Und Dino Lorenzo hält mich auf dem Laufenden. Alles Gute, Judith. Aber Ihnen geht es hoffentlich gut?«
    Sie zögerte, eine blonde Strähne fiel ihr ins

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