Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl
um die Herrin der Quelle zu suchen. Pater Melvinius war doch Abt in Beauport, nicht wahr?«
»Ja, Melvinius de Penthièvre war Abt dieses Klosters. Er ist ein nüchterner Mann, der Pater. Ich kannihn mir nicht als Besessenen oder geistig Verwirrten vorstellen. Aber gewiss ist etwas geschehen, das ihn bewogen hat, hierher zu kommen. Möglicherweise auch nur böse Gerüchte.«
»Oder die Herrin an der Quelle?«
»Jehan?«
»Nun, es gibt doch auch hier eine Geschichte von einer Fee, die die Quelle bewacht. Kennt Ihr sie nicht?«
»Doch, natürlich kenne ich die Mär. Ich habe auf meinen Reisen festgestellt, dass es an vielen Stellen dieser Welt solche Geschichten gibt.«
»Papa – könnte dann nicht etwas Wahres daran sein?«
Der Ast, auf dem ich saß, zitterte und bebte unter mir.
»Nein, mein Junge. Es sind Hirngespinste.«
»Sicher? Aber es gibt doch das Amulett, oder?« Meiko stieß wieder ein verächtliches Schnauben aus. Jehan aber ließ nicht locker: »Du hast mir selbst einmal erzählt, dass du es gesehen hast.«
»Das Haar Mariens, meinst du das?«
»Natürlich. Könnte es nicht das Feenhaar sein?« »Mein Sohn, das ist purer, reiner Aberglaube.« »Aber es heißt, es schützt seinen Träger.«
»Es ist ein hübscher Stein. Und genau so wirkungslos wie die Splitter von der Wiege Christi, die Fingerknöchelchen des Heiligen Martin oder ein noch so hübsch geschriebener Ablassbrief.«
»Ihr glaubt auch nicht an die Wirkung der Reliquien. Ich weiß. Warum eigentlich nicht? Alle anderen tun es.«
»Nicht alle, nein. Denn schau, Jehan, wenn man alleSplitter der Wiege Christi zusammensetzen würde, die es so gibt, dann würde man in dieser Wiege einen jungen Riesen schaukeln können. Und ich kenne so viele Fingerknöchelchen Martins, dass der arme Mann mindesten sechzehn Finger an jeder Hand gehabt haben muss.«
Jehan gluckste.
»Und glaubst du wirklich, ein von Menschen verfasstes Schreiben, das die Freistellung von fünf Monaten Fegefeuer bestätigt, wird dir irgendetwas helfen, wenn deine Seele zum Himmel aufsteigt?«
»Meine Seele wird schwerlich einen Fetzen Papier mit sich führen. Da habt ihr gewiss Recht, Papa.« »Siehst du.«
»Aber warum machen die Leute das denn?«
»Ablassbriefe kaufen? Weil man ihnen Angst macht. Und ihnen damit das Geld aus der Tasche ziehen kann.«
»Ist das nicht Betrug?«
»Doch, das ist es. Und das zu sagen ist Ketzerei. Ich handle unverantwortlich, dass ich dir solche Ideen eingebe, Jehan. Es kann dich in Gefahr bringen.«
»Nein, Papa. Ich bin wegen der Ablasszettel schon von alleine auf ähnliche Gedanken gekommen. Aber ich spreche mit niemandem darüber.«
»Das ist gut so, mein Junge.«
»Aber das Feenhaar ...«
Meiko lachte leise auf.
»Na gut, das Feenhaar. Oder das Haar Mariens – was ist damit?«
»Hat das nicht Eure Mutter besessen? Die Dame Caroline meinte es.«
Ich zuckte auf meinem Ast zusammen und wäre beinahe abgestürzt. Meikos Mutter besaß ein Feenhaar? Meine Pfoten kribbelten, und mein Schwanz machte alle Anstalten, wie ein Quirl in der Hand eines Suppenkochs herumzuwirbeln. Ich gebot ihm mit aller Macht Ruhe.
»Meine Mutter hat alle möglichen Amulette und Reliquien und Ablässe gesammelt. Sie war eine leichtgläubige und törichte Person.«
Es klang bitter, was Meiko da äußerte.
»Ja, aber... auch das Haar?«
»Ja, auch das Haar.«
»Wo ist es jetzt?«
»Keine Ahnung, mein Sohn. Wahrscheinlich in ihrem Grab.«
»Nein!«
»Sag nur, du bist genauso besessen von diesem Amulett?«
Jehan druckste ein bisschen herum, dann meinte er: »Wenn es wieder der Quelle zurückgegeben wird...« »Ich kenne die Geschichte.«
Leise und ein wenig traurig stellte Jehan fest: »Du glaubst an gar nichts, Papa.«
»Nicht an solche Dinge.«
»Auch nicht an Gott?«
»Jehan, mir hat man zu glauben befohlen, Gott sei ein Erbsen zählender Greis, der den Leuten unter die Bettdecke schaut und ihre Sünden auflistet. Er hat damit mein Vertrauen nicht gewonnen.«
»Nein, das geht auch nicht.«
»Meine Mutter sah ihn als einen Wunder wirkenden Zauberer, den man durch Bezahlung dazu bringenkann, die eigenen, selbstsüchtigen Wünsche zu erfüllen. Das war mir dann doch zu simpel.«
Jehan bekam wieder diesen gedankenschweren Blick, und wieder beobachtete Meiko ihn, während ein kleines Lächeln sich in seinen Mundwinkeln einnistete.
»Und die Seeleute glauben, ein Gebet zu ihm wird ihnen guten Wind und reichen Fang schicken. Papa, mir will
Weitere Kostenlose Bücher