Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl
Jehan für Euch?«
Unter Melvinius’ weißem Bart breitete sich ein feines Lächeln aus.
»Liebe Kristin, die Frage geht zu weit!«
»Oh!«
Sie senkte den Blick, in dem mindestens so viel Neugier lauerte wie in meinem. Ich senkte meinen nicht. Ich dachte ja gar nicht daran. Ich dachte mir etwas ganz, ganz anderes!
Kristin aber zog auch einen Schluss.
»Ach Gott, der arme Junge. Weiß er es schon?« »Die Dame Caroline kümmert sich um ihn, Jungfer Kristin.«
»Es wird ihm schrecklich weh tun. Er ist ein feinfühliger Knabe. Ich bin ihm ein paarmal im Wald begegnet, und wir haben uns wunderbar unterhalten. Er hat mir eines der hier überlieferten Märchen erzählt. Das tun Jungen in seinem Alter nicht sehr oft.«
»Ein Märchen?«
»Von einer Fee, die die Quelle im Wald bewacht. Er hat mich einmal dorthin geführt.« Sie seufzte noch einmal leise. »Es ist ein schöner Platz, aber eine Feegibt es leider dort nicht. Wir waren beide sehr enttäuscht.«
Melvinius sah aus, als habe er einen fernen Donner gehört. Ich spürte, wie er um Fassung rang, und kletterte eilig auf seinen Schoß, um sein polterndes Herz zu beruhigen. Er hatte sich bewundernswert im Griff, seine Stimme verriet seinen inneren Aufruhr nicht.
»Es gibt eine Quelle, über die eine Fee wachen soll? Mögt Ihr mir die Geschichte ebenfalls erzählen, Jungfer Kristin?«
»Gerne, Pater. Hört!«
Sie berichtete mit ihrer hübschen Stimme von der goldhaarigen Fee, die das wundertätige Haar ihrem Retter schenkte, der aber von seinem Bruder verraten worden war.
»So berichtete Jehan, aber ich habe noch eine weitere Ausführung dazu gehört. Nicht nur das Wasser der Quelle ist bitter geworden, sondern auch die Fee hat sich von ihr entfernt, und die Heilkraft des Wassers ist versiegt. Denn als die Herrin der Quelle erfuhr, dass der falsche Bruder nun durch ihr Haar geschützt war, entsandte sie ihren Geliebten, einen schönen, silberhaarigen Feenprinzen, um den Kristall zurückzuholen. Der Feenprinz war ein gütiger und weiser Mann, der seine Macht nicht ausspielen wollte, denn damit hätte er die Menschen erschreckt. Also nahm er für diesen Auftrag die Gestalt eines Sterblichen an und besuchte den Bruder, um mit ihm zu verhandeln. Der aber fühlte sich sicher und stark und forderte ihn zum Streit heraus. Sie rangen miteinander. Der Verräter kämpfte nicht nach den Regeln, und er erschlug hinterrücks den Feenprinzen. Zwar sind die Unsterblichenvor dem Tode sicher, doch da er Menschengestalt angenommen hatte, war er nun dazu verdammt, in dieser Welt zu bleiben. Das Feenreich blieb ihm verschlossen, und jede Erinnerung daran war aus seinem Gedächtnis verbannt. Seine Seele irrt seither suchend umher und findet gelegentlich ein Heim in dem Körper eines Menschen. Die Herrin der Quelle aber, als sie von dem feigen Mord erfuhr, verließ ihren Platz in dieser Welt, um in ihrem eigenen Reich um ihren Liebsten zu trauern. Seither ist nicht nur das Wasser bitter, sondern heilt auch nicht mehr die Gebrechlichen und Siechen.«
»Mirza, Mirza«, murmelte Melvinius, hob mich an seine Schulter und drückte mich an sich. »Mirza, du zitterst ja!«
Kräftig streichelte seine Hand über meinen Rücken und meine bebenden Flanken. Ganz langsam ließ die Erregung in mir nach.
»Pater, habt Ihr mir nicht einmal erzählt, Tiere mit roten Ohren stammten aus dem Feenreich?«
Oh, Kristin, du hellsichtiges Mädchen.
»So sagt man in meiner Heimat. Es ist ein Märchen, wie das Eure. Und, Jungfer Kristin, wie in allen Märchen verbirgt sich auch darin immer ein Körnchen Wahrheit. Wer weiß, vielleicht gab es vor langen Zeiten wirklich noch Feen in unserer Welt. Die Schlechtigkeit der Menschen mag sie – wie in dieser Mär – jedoch vertrieben haben.«
Auch Kristin kraulte mich jetzt zwischen den Ohren.
»Tatsache ist auf jeden Fall, dass Mirza eine ganz ungewöhnliche und sehr kluge Katze ist.«
»Das ist wohl wahr. Woher habt Ihr diese Ergänzung von Jehans Geschichte, Jungfer Kristin?«
»Oh, die Druitgin, unten im Dorf, hat sie mir erzählt, als ich letzthin bei ihr war.«
Durch Melvinius ging ein Ruck.
»Ihr wart bei der Druitgin?«, fragte er unerwartet scharf.
»Ja, man sagte mir, sie kenne sich mit Kräutern aus.«
»Jungfer Kristin – geht nicht zur Druitgin. Ich bitte Euch herzlich. Wenn Ihr Rat braucht... also, wenn Ihr ein Problem habt, kommt zu mir. Ihr könnt mir vertrauen. Jungfer Kristin. Ich werde Euch helfen.«
»Ja, aber,
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