Die Lautenspielerin - Roman
Alnbeck? Sie war eine Frau im besten Alter und sollte nicht sterben! Die meisten Frauen trugen im Laufe ihres Lebens ein halbes Dutzend Kinder zu Grabe. Leander war kränklich gewesen, und sie schien seinen nahenden Tod mit Fassung getragen zu haben. Doch der schwarze Abgrund hatte sich aufgetan, und der Sog hinunter in die finsteren Tiefen hatte ihm den Atem genommen.
Seraphin beugte sich vor. »Ich komme aus einer Sippe von Magiern, Wahrsagern und absonderlichen Kreaturen. Es gibt kaum etwas, was ich nicht verstehe, und du hast gerade eben etwas erlebt, was nicht von dieser Welt ist. Etwas Dämonisches.«
»Dämonen. Ja, Seraphin, mich verfolgen Dämonen«, flüsterte Gerwin und presste die zitternden Hände ineinander. »Ich sehe den Tod. Ich fühle, wenn jemand sterben wird. Es ist so furchtbar, und ich kann nichts dagegen tun. Als ich Elisabeth von Alnbecks Hände berührte, waren es nicht mehr ihre, sondern die kalten Klauen des Todes. Glaubst du mir?«
Seraphin nickte ernst. »Es gibt Menschen, die das können. Eine alte Frau aus unserem Clan hatte die Gabe, sie konnte auch heilen.« Der Tänzer legte Gerwin freundschaftlich eine Hand auf die Schulter und betrachtete ihn mit neu erwachtem Interesse. Anerkennung schwang in seiner Stimme mit, als er sagte: »Die alte Frau bei uns war sfânt, heilig. Wenn du es richtig anstellst, wirst du ein berühmter Heiler.«
Gerwin wischte sich einen Schweißtropfen von der Stirn und beobachtete die Menschenmenge. Er sah gerade noch Adelias glänzende Robe und fragte sich, ob sie ihn erkannt hatte. »Hippolyt meinte, es liege noch ein dornenreicher Weg vor mir. Seraphin, hattest du den Eindruck, dass die Zofe Elisabeth von Alnbecks mich erkannt hat?«
»Es hatte nicht den Anschein, aber bei Frauen weiß man nie, was sie denken. Da sie nichts gesagt hat, wird sie ihre Gründe dafür haben.« Seraphin strich die Feder an seinem Barett glatt.
»Die hat sie gewiss. Ihr Handeln ist von Berechnung bestimmt.« Gerwin dachte an die Gunst, die ihm Adelia auf Dörnthal gewährt hatte und deren Bezahlung er noch schuldig war. Zumindest war sie nicht guter Hoffnung, hatte ihn diesbezüglich also belogen.
»Erzähl mir davon, während wir uns zu Tisch begeben. Wenn wir uns nicht beeilen, sind die besten Bissen bereits fort.«
Was in den Räumen des kurfürstlichen Schlosses an Speisen aufgetischt wurde, überstieg Gerwins Vorstellungskraft. Kurfürst August und seine Gemahlin speisten allein, doch die Hofgesellschaft schien den Landesherrn nicht zu vermissen und verlustierte sich in den reich dekorierten Sälen, von denen man auf die Elbe blickte. Auf langen Tafeln waren Berge von geschmorten Karotten, Rüben, gefüllten Gurken und Pilzen, Nüssen, mariniertem Kalbsund Schweinefleisch, Wildschwein und Hirschleber, Hasenpastete, weißem und dunklem Brot und riesigen Käselaiben aufgebaut. In einem anderen Raum warteten süße Speisen: Käsetorten, kandierte Früchte und bunte Gelees. Hingerissen von den fremdartigen Gerüchen, dem Farbenmeer und der Pracht von exquisitem Porzellan und silbernem Tafelschmuck hörte Gerwin nur mit halbem Ohr, was Seraphin ihm zuflüsterte, wenn sie den herausgeputzten Damen und Herren des Dresdner Hofes begegneten.
In einer Ecke spielte eine Bläsergruppe mit stoischen Mienen Madrigale und Motetten, während die Gesellschaft schwatzte, lachte und sich über die Mittagstafel hermachte. Seraphin erklärte, dass immer zuerst die Bläser spielten, weil anfangs der Lärm am größten sei. Danach folgten Violinisten und andere Streichmusiker mit heiteren Stücken, und beim Auftragen des Obstes sei es Zeit für die Sänger mit ihren vier- und dreistimmigen Sätzen.
Bei der Erwähnung eines Arztes horchte Gerwin auf. »Wie?«
»Ach, hörst du doch zu? Der Mann dort hinten ganz in Schwarz mit der hohen Stirn ist der Leibarzt des Kurfürsten, Kaspar Peucer, ein Philippist.«
Mittlerweile hatten sie den ersten Hunger gestillt und standen an einer Säule. Über ihnen wölbte sich eine stuckierte Decke, die Wände waren mit floral gemusterten Seidenstoffen bespannt. »Philippist?«
»Die Anhänger Melanchthons nennen sich so. Peucer ist Melanchthons Schwiegersohn und ihr Anführer. Geheimrat Cracow gehört dazu, Hofprediger Schütz und Superintendent Stössel, der sich übrigens gerade zu Peucer gesellt.«
Der ernste Mann fortgeschrittenen Alters beobachtete mit vorgestrecktem Kinn die Tischgesellschaft, ohne selbst etwas zu essen. Stössel war wie der
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