Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
durch, um die Nerven zu beruhigen, und lauschte, ob in Brynds Zimmer etwas zu hören war. Ganz vorsichtig ergriff er die Klinke und öffnete die Tür lautlos und beinahe liebkosend.
Er glitt über die Schwelle.
Am anderen Ende des Raums lag ein Mann und atmete im Rhythmus seiner Träume. Das milchige Licht der beiden Monde drang durch ein kleines Rundfenster hoch oben in der Wand. Rasch gewöhnten sich Nelums Augen an die Dunkelheit, und schon konnte er im Bett deutlich den Umriss des Kommandeurs ausmachen.
Ein bleiches Gesicht wandte sich ein wenig zu ihm um und wisperte unvermittelt: »Ich hatte mich schon gefragt, wie lang es noch dauert.«
Nelum hörte, wie ein Schwert gezückt wurde, und stürzte sich auf Brynd. Der musste seine Waffe neben das Kopfkissen gelegt haben.
Sie rangen im Dunkeln leidenschaftlich. Schon hatten sie einander an den Handgelenken ergriffen, da spürte Nelum zwei feste Schläge gegen den Brustkorb, ehe es ihm gelang, Brynd ächzend einen Kopfstoß zu verpassen und ihn so auf Abstand zu bringen.
Kaum hatten sie voneinander abgelassen, entstand eine kurze Pause, in der beide auf die nächste Attacke warteten.
Nelum griff erneut an, ließ sein Messer geschickt durch die Luft fahren und zwang Brynd, sich zu ducken. Schon trat er dem Gegner die Beine weg, doch Brynd schnappte sich Nelums Fußgelenk und fuhr ihm mit einer Klinge über die Schienbeine. Zwar konnte Nelum sich ihm entwinden, doch der unerträgliche Schmerz zwang ihn, sich auf dem Boden zu krümmen, während der Kommandeur einen Gegenangriff einleitete.
Es gelang Nelum, Brynds Handgelenk umzubiegen und das Messer des Kommandeurs über den Boden schlittern zu lassen. Dann stieß er ihm das Knie in den Magen. Der Albino ächzte, zwang sich aber wieder in die Senkrechte und schlug mit der Faust nach Nelums Wange. Etwas knackte, und nun war es an Nelum, vor Schmerz zu ächzen. Brynd trat ihm seitlich gegen die Knie, was ihn erneut zu Boden gehen ließ.
Dann schlug er auf Nelums Nackenpartie ein.
Dem ging zusehends die Luft aus. Er rang nach Atem und stieß das Giftmesser nutzlos in die Höhe. Als er dann nach der verletzten Kehle griff, entglitt ihm das Messer …
Brynd sah Nelums Miene zucken, als erlitte sein Stellvertreter einen Schlaganfall. Sein Gesicht verzerrte sich dramatisch. Die Glieder verdrehten sich, und er zuckte und ruckelte. Er bog das Rückgrat durch und wollte schreien, brachte aber nur ein Keuchen und Spucke hervor. Seine Gesichtsmuskeln flatterten schrecklich, die Haut brodelte und warf Blasen. Schließlich blieb er reglos liegen.
Brynd rappelte sich auf und entzündete eine Kerze. Ein seltsames Messer von fremdartiger Technologie steckte Nelum in der Brust.
Bei Bohr … was hat es mit diesem Messer auf sich?
Nelums Haut leuchtete knallrot, und sein Körper war so entstellt, dass Brynd ihn kaum erkannte. Der Kommandeur schnappte japsend nach Luft.
Warum musstest du mich attackieren, Nelum? Nur wegen deiner verdammten Glaubensüberzeugungen und Vorurteile? Sie waren jahrelang Kameraden gewesen und hatten sich nahe genug gestanden, um die Eigenarten des anderen zu kennen. Wie hatte Nelum nach allem, was sie gemeinsam durchgemacht hatten, planen können, ihn umzubringen?
Brynd sank aufs Bett zurück und begrub das Gesicht in den Händen.
KAPITEL 49
B rynd musste seine Leute in tiefer Nacht wecken. Verschlafen und mit trüben Augen kamen die Gardisten in die Obsidianrote Kammer geschlurft, wo der Kommandeur im Halbdunkel von dem auf ihn verübten Anschlag berichtete und verblüffte Stille erntete.
Glaubten sie ihm? Oder dachten sie, er habe Nelum wegen der Differenzen umgebracht, die kürzlich zwischen ihnen laut geworden waren?
»Warum mag Nelum Euch angegriffen haben?«, fragte Tiendi. Einzig die Frau hatte den Mut, etwas zu sagen.
»Vielleicht könnt ihr mir das ja erklären«, erwiderte Brynd und musterte seine Leute auf Zeichen von Ungehorsam oder auf eine Miene, die anzeigen mochte, dass noch jemand es auf ihn abgesehen hatte. Wenn er nicht aufpasste, würde er völlig paranoid werden. »Er ist mit einer Waffe in mein Zimmer gekommen, als er dachte, ich würde schlafen.«
Brynd hatte zwei Gardisten befohlen, die sorgfältig in Laken gewickelte Leiche herzuschaffen. Nun lag sie auf dem Tisch, und der Kommandeur schlug den Stoff beiseite.
»Verdammt!«, keuchte einer.
»Mist!«
Die Blasen unter der Haut des Toten hatten sich verschlimmert, und er war eigentlich nur noch an der Uniform zu
Weitere Kostenlose Bücher