Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
haben. Das kleine Feuer des Hirten brannte nach wie vor, der Barbar lag zusammengekauert daneben, als müsse er es beschützen.
Was hörte ich? Teîsolor setzte sich auf und blickte sich genauer um, doch es gab nichts, was sein Misstrauen begründete.
Das Tropfen hatte sich verstärkt, ein Rinnsal lief aus einem Spalt an der Wand, ganz in der Nähe des Jungen.
Der Alb atmete langsam ein. Wenn man von den stinkenden Pelzen der Barbaren absah, gab es keinen ungewöhnlichen Geruch, der auf Gefahr hindeutete.
Aber der Veteran wusste, dass er sich auf seine Sinne verlassen konnte. Etwas geht nicht mit rechten Dingen zu.
Dann erklang es erneut: ein helles, kurzes Knistern, gefolgt von einem Rascheln und Rieseln.
Teîsolors Ohren bestimmten unverzüglich die Quelle des Geräuschs, sein Kopf zuckte herum.
Dort, wo das Sickerwasser aus dem Fels rann, hatte sich ein Riss gebildet. Mit einem weiteren Knacken bildete sich ein Netz aus Sprüngen, die hinauf bis zur Krümmung des Überhangs zuckten.
»Alles auf!«, schrie er und sprang auf die Beine. »Der Unterstand bricht zusammen!«
Die Albae schreckten hoch, ebenso der Junge, und fragten nicht nach, sondern packten ihre wichtigsten Dinge, um sich hastig außerhalb des Gefahrenbereichs zu begeben.
Teîsolor raffte die Pelze und die Waffen an sich, langte nach den Seilen, als das Krachen unüberhörbar laut wurde und größere Brocken aus der Wand gesprengt wurden. Er vermutete, dass die Wärme des Feuers eine unsichtbare Eisschicht dahinter so weit angetaut hatte, dass sie nicht mehr hielt. Nun wurde der Druck zu hoch, der Fels gab nach.
Teîsolor eilte los. Wusste der Barbar das? Oder tappten wir in eine Falle der Elben? Er sah zum Hirten, der neben dem Benàmoi stand und verschlafen wirkte.
Da erblickte er Saphôra, die ihre letzten Sachen griff, während Staub auf sie rieselte und ihr allmählich die Sicht nahm. Größere Trümmer gingen nieder, ein Brocken fiel ins Feuer und sandte Funken in alle Richtungen.
Fluchend schleuderte Teîsolor sein Gepäck ins Freie und kam der silberblonden Albin zu Hilfe. »Willst du hier drin sterben?«, fuhr er sie an.
»Nein«, gab sie hustend zurück und hielt plötzlich einen Felsbrocken in der Hand, mit dem sie wuchtig zuschlug und genau seine Nase traf. »Aber du solltest es! Für unser aller Wohl.«
Die Attacke erfolgte zu unerwartet. Trotz des Helms war die Wirkung heftig genug, Teîsolor taumeln und stürzen zu lassen. »Benàm …« Er wollte rufen, aber der Staub brachte ihn zum Husten und erstickte die Warnung.
»Alle werden dich für einen Helden halten. Ich werde verkünden, dass du mich gerettet hast, Teîsolor.« Durch die Grauschleier erkannte er ihren Schemen, dann bekam er ihren Stiefelabsatz mit einem brachialen Stampfschritt gegen den Mund, bevor sie über ihn hinweg hastete. »Und ich rette den Rest von uns vor diesem unsinnigen Auftrag der Aklán.«
Das darf ich nicht … Er war von den schweren Treffern benommen, Blut rann ihn aus dem Mund. Er rollte sich auf den Bauch, spuckte abgebrochene Zähne aus und wollte sich aufstützen, als er das Knistern erneut vernahm. Samusin, ich flehe dich an, steh …
Dann brach der Überhang ein und begrub Teîsolor mit seiner hundertfachen Zentnerlast unter sich.
»Hinterhalt half gegen Tapferkeit,
der erste Sieg ward teuer bezahlt.
Die Leben schwanden.«
Tark Draan (Geborgenes Land), nordwestlich von Dsôn Bhará, 5434. Teil der Unendlichkeit (6310. Sonnenzyklus), Frühling
Seit dem Tode Teîsolors verlief der Marsch schneller als zuvor.
Die Albae wollten ihrer hilflosen Wut freien Lauf lassen und die Elben für das Ende des Veteranen grausam büßen lassen.
Artâgon trieb den jungen Hirten an, der unentwegt darauf hinwies, dass es gefährlich sei, so schnell zu laufen, denn die Höhe könne das Blut in den Adern stocken lassen.
Sosehr sie sich das Zusammentreffen mit den Todfeinden ersehnten, sie mussten öfter eine Rast einlegen, um ihre Herzen zu beruhigen und den Schwindel abzuschütteln. Sie kauerten mit großen Lücken in der Reihe auf dem immer schmaler werdenden Pfad, die Rücken gegen den Stein gepresst und nur leidlich gegen die Böen geschützt.
Es wird nicht mehr lange dauern. Norîgon hätte zu gerne den Helm abgenommen, unter dem die langen, dunkelbraunen Haare juckten, doch es war zu kalt. Wie am Moment zuvor nützte der Sonnenschein nichts, und das unbarmherzige Weiß auf den Bergen unter ihnen blendete allgegenwärtig.
Auf seinem
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