Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
noch viel besser: Wir beide werden Helden!«
»Waren wir das nicht schon einmal? Ich für meinen Teil habe genug. Aber ich weiß, dass du Anerkennung gerne annimmst. Nein, du gierst danach, wenn wir ehrlich sind.«
»So ist es. Und dazu wird es noch eine ehrenhafte Aufgabe sein, zu der uns die Unauslöschlichen aussenden.« Sinthoras warf den kostbaren weißen Mantel ab, darunter kam eine schwarze Tioniumrüstung zum Vorschein, die der Caphalors sehr ähnelte und noch aufwendiger gestaltet war.
»Ich sehe schon: Du hast dich in Kosten gestürzt, um an die vergangenen glorreichen Momente der Unendlichkeit anzuknüpfen«, spöttelte Caphalor.
»Ein Geschenk und passend für Helden«, wiegelte Sinthoras ab. »Von dir hört man auch Großes.«
»Ich tue meine Pflicht und fühle mich sehr gut.« Caphalor bot Tee an, den sein Freund dankend annahm. »Haben dich die Geschwister wegen der Botoiker gesandt?«
Sinthoras streifte die hellen Strähnen aus dem Gesicht und setzte sich. »Nein, das bringt sie nicht aus der Fassung.« Er langte an seine Seite und zog eine Lederrolle heraus, öffnete sie und legte eine ramponierte Zeichnung auf den Tisch. » Das schon.«
Caphalor betrachtete die schwachen Linien, die verwaschen und verdreckt waren. Das Graue Gebirge. Er runzelte die Stirn und beugte sich nach vorne. »Ist das ein Fleck?«
Sinthoras zwinkerte ihm zu. »Nun, ich halte es für eine Siedlung.«
»Was mich nicht verwundern würde. Die Unterirdischen …«
»Ich rede von Elben .« Der blonde Alb lachte schallend über das verwunderte Gesicht seines Freundes. »Und ob meine Vermutung stimmt, das werde ich herausfinden.« Er wies auf Caphalor. »Zusammen mit dir.«
Der Knochenbaum
Einst wanderte eine junge, gelehrte Albin namens Sonoîtai durch Ishím Voróo und fand auf ihrem Weg durch einen großen, toten Wald ein Knöchlein, das aus der Erde ragte.
Sie zog das fingerlange Stück hervor und musterte es eingehend. Doch so sehr sie auch überlegte, sie vermochte das Gebein keiner ihr bekannten Kreatur zuzuordnen, denn weder zu einem Scheusal noch zu einem Barbaren oder gar einem Alb wollte es passen.
»Wie merkwürdig«, sagte Sonoîtai zu sich selbst und steckte es ein.
Als sie einige Schritte gelaufen war, kam sie auf eine Lichtung, auf der sich ausgeblichene Knochen häuften.
Hier fand sie Skelette von allen ihr bekannten Wesen, doch so sehr sie sich durch die Gebeine wühlte, sie fand keines, das zu dem Knöchlein passen wollte. Auch erschloss sich ihr der Grund nicht, warum die Überreste der Toten in diesem Wald zu einem ungeordneten Stapel gefügt worden waren.
So nahm Sonoîtai das Knöchlein mit nach Dsôn, um es den Gelehrten zu zeigen.
Bei ihrer Rückkehr war es bereits tiefste Nacht, und so begab sie sich zu Bett und schlief alsbald ein.
Da träumte sie, dass das Knöchlein zu ihr sprach: »Pflanze mich! Pflanze mich, und ich werde dir zu einem schönen Baume.«
Kaum war Sonoîtai erwacht, da steckte sie das Gebein in einen Topf mit guter Erde und begoss es.
Des Nachts jedoch erschien ihr das Knöchlein wieder im Schlafe und bat: »Pflanze mich! Pflanze mich, und ich werde dir zu einem schönen Baume.«
Sonoîtai grub das Stückchen aus und setzte es in einen größeren Topf, mit noch besserer Erde, und stellte es an einen sonnenbeschienen Ort.
Aber wieder musste sie in ihren Träumen das Knöchlein vernehmen, das nicht nachließ zu flehen: »Pflanze mich! Pflanze mich, und ich werde dir zu einem schönen Baume.«
Sonoîtai war ratlos, wie sie das Knöchlein noch besser pflanzen sollte, und begab sich in den Garten, um nach dem Topf zu schauen.
Sie vernahm aus der Ferne einen lauten Streit und sah Kinder, die riefen und schrien. Sie versuchten, eine Wildkatze aus dem Garten zu vertreiben.
Noch bevor Sonoîtai eingreifen konnte, warf einer der Knaben den Topf mit dem Knöchlein nach dem Tier, verfehlte es jedoch.
Das Behältnis traf eines der Mädchen am Kopf, das auf der Stelle umstürzte und mit offenen Augen liegen blieb. Sie war nicht tot, aber alles Rütteln ihrer Freunde half nicht.
Sonoîtai eilte heran und sah, dass im offenen Mund der kleinen Albin Erde war – und dass das Knöchlein in ihrem Rachen steckte.
Sie streckte die Hand aus, um das Gebeinstückchen zu entfernen und das Mädchen zu einem Heiler zu bringen, als das Knöchlein freudig sprach: »Nun habe ich die Fleischerde, nach der ich mich verzehrte, und das Blutwasser, nach dem mich dürstete.«
Das arme Kind
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