Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
eines …«
»Nachdem ich von dem Vorfall in Wèlèron hörte«, unterbrach ihn die Inagsàri gnadenlos, »zog ich Erkundigungen über jene Nacht ein, in der wir den vermeintlichen Priester und seine Gefolgsleute töteten. Dabei kam heraus, dass in jenem Haus nur ein einfacher Schreiber und seine Schüler wohnten. Die Albae, die uns im Keller angriffen und unseren Klingen zum Opfer fielen, gehörten zur Wache der Akademie, die der Ungetreuen auf den Fersen waren.« Hëironî atmete schnell, ihre Augen sprühten vor Wut. »Wir taten Marandeï den Gefallen, von ihr abzulenken und ihre Häscher für sie umzubringen.«
»Dann …« – Drâcoràs musste sich räuspern. In seinem Verstand schossen die Bilder jener Nacht empor, er sah sie vor seinem inneren Auge. »Dann war sie die Priesterin?«
»Nur das ist die Erklärung für ihr Schauspiel«, stimmte die Albin finster zu.
Dann war der Schädel niemals der echte. Sie hätte sonst eingegriffen. Drâcoràs hatte das Bedürfnis, sich sofort aufzumachen und nach der Ungetreuen zu suchen. »Verflucht«, schrie er, und seine Stimme hallte im Hof wider. Seine rechte Hand ging an die Stirn, die Kuppen ertasteten die Rune der Unauslöschlichen. Ich verdiene den Segen nicht. Bei Inàste, ich verdiene ihn nicht. »Wir …« Er starrte Hëironî an. »Weiß es Tólanôri schon?«
Die Albin nickte. »Sie kommt nach Dsôn.«
Drâcoràs hatte bereits einen Entschluss gefasst. »Wir gehen zu den Unauslöschlichen, und ich gestehe meinen alleinigen Fehler ein. Ihr folgtet lediglich meinem Befehl.«
Hëironî legte ihm eine Hand auf die Schulter, dann langte sie auf den Rücken und zog eine versiegelte Pergamentrolle hervor. »Ich war bereits beim Herrscherpaar, um unser aller Schuld zu gestehen, da ich ahnte, dass du etwas Derartiges tun würdest.« Sie lächelte tapfer. »Das könnte ich niemals zulassen.« Sie hielt die Rolle mit einer Hand. »Wir sollen sie öffnen, sobald Tólanôri bei uns erschienen ist. So lautet die Anweisung.«
»Bei Inàste.« Drâcoràs lehnte sich gegen die Mauer und schloss die Lider. »Was ist mit Marandeï?«
»Niemand weiß es. Sie floh. Die einen sagen, sie verbirgt sich in Wèlèron, die anderen behaupten, sie sei nach Phondrasôn geflüchtet, um dem Zorn der Unauslöschlichen zu entgehen.« Hëironî atmete tief ein, doch ihre Wut brannte unüberhörbar. »Oh, ich wünsche mir ihren Tod im Maul einer Bestie, die sie langsam verschlingt und Teile der Unendlichkeit lange in ihrem Gedärm verdaut.«
Drâcoràs spürte die kalte Wand am Hinterkopf und die Sonnenstrahlen im Antlitz. Ich muss mir die Rune entfernen … zerschneiden … unkenntlich machen. Der Hass auf die Priesterin, die ihn dazu gebracht hatte, Unschuldige zu töten und dazu noch Ishînaia ermordet hatte, ließ Wutlinien auf seinen Zügen entstehen. Was sich wirklich im Haus sowie im Keller des Schreibers abgespielt hatte, würde solange im Verborgenen bleiben, bis sie Marandeï gefunden und befragt hatten. Das finde ich heraus.
Das Trommeln von Hufen brachte ihn dazu, die Augen zu öffnen.
Tólanôri nahte auf einem Nachtmahr, stieg ab und eilte unverzüglich zu ihnen. Da Drâcoràs nicht in der Verfassung war, die Geschehnisse zusammenzufassen, übernahm es Hëironî; dabei gingen sie in die Wachstube, wo Drâcoràs seinen Stellvertreter rasch bat, die Garde zu führen.
Dann waren die drei alleine.
Tólanôri sprach nicht ein einziges Wort, doch auch auf ihrem Antlitz zuckten die schwarzen Striche, geboren aus Wut und Hass auf die Ungetreue.
Wie wird unsere Strafe ausfallen? Drâcoràs nahm die Rolle, erbrach das Siegel und entrollte sie. Langsam las er vor, was die Unauslöschlichen sie wissen lassen wollten.
Meine tapferen Inagsàri,
die ihr so schändlich hintergangen worden seid – von euer eigenen Gutgläubigkeit!
Ihr hattet uns so wertvolle Dienste geleistet, und ausgerechnet bei der widerlichsten von allen Ungetreuen, der frevelhalten, schändlichen Cîanai Marandeï, musstet ihr versagen.
Grausam, wie es sich rächte.
Ein jeder und eine jede von euch tragen die Bürde der Schuld. Die Schuld am Tod von guten Albae, von ausgezeichneten Cîanai und Cîanoi.
Und dazu erhieltet ihr noch meinen Segen.
Behaltet den Segen, er mag euch von Nutzen für das Kommende sein.
So lautet die Anweisung: Zieht durch Dsôn Faïmon, sucht nach Marandeï.
Sollte sie sich nachweislich nicht mehr in unserem Reich befinden, werdet ihr, meine tapferen Inagsàri, ihr nicht
Weitere Kostenlose Bücher