Die Legenden der Albae: Dunkle Pfade (German Edition)
töten, ehe mich die anderen zum Mahl erhalten.
Von seinem Aussichtspunkt aus sah das Schauspiel der zahlreichen Kaskaden noch überwältigender aus, begleitet vom Tosen und Brodeln. Dazu rissen die Wolken auf und gewährten ihm den Blick in die Höhe.
Sein Mund klappte vor Überraschung auf: Er befand sich ganz ersichtlich in einer Kaverne, die unzählige Meilen hoch sein musste!
Ein leuchtender Nebel schwebte gleich einer transparenten, durchlässigen Zwischendecke und spendete Licht sowie Wärme. In schwindelnder Entfernung ergossen sich die Wassermassen aus Hunderten breiten Löchern in der gewölbten Decke. Schillernde Gischtwolken trieben umher, bevor sie zerstäubten und sich auflösten.
Nimmt diese Höhle überhaupt ein Ende? Tirîgon vermochte nichts auszumachen.
Das Meer stieg und stieg.
Die Wellen hatten sich emporgearbeitet und erreichten das obere Drittel der Bäume.
Unter dem Alb schwammen die Scheusale, rempelten die Stämme an und brachten sie zum Erzittern. Schwere Äste lösten sich und fielen herab. Kaum berührten sie die Oberfläche, wurden sie von den Fischen geschnappt und in die Tiefe gezerrt.
Mehrmals musste sich Tirîgon festklammern, sonst wäre er durch die Einschläge und das Schwanken von seinem Sitz gestürzt. Er gab sich keinerlei Illusionen hin. Hier endete es für ihn. Dabei hatte ich viel vor an diesem Ort. Mit diesem Ort.
Aus dem rechten Augenwinkel sah er einen Umriss, der sich auf dem Wasser entlangschob. Als er sich danach umwandte, erkannte er ein Schiff!
Das Gefährt erinnerte eher an eine Fähre. Es maß fünfzig, sechzig Schritt, besaß einen eisenverkleideten, klobigen Rumpf und fuhr geschickt zwischen den herabstürzenden Kaskaden vorbei, nutzte den entstehenden Fallwind für sein Segel. Seine eingeschlagene Route führte jedoch nicht am Alb vorbei.
»Hey!« Sollte das meine Rettung im letzten Augenblick werden? Tirîgon winkte mit beiden Armen, um auf sich aufmerksam zu machen. »Hey! Hier drüben!«
Das Wasser hatte die Baumkrone bald erreicht.
Wenn mich niemand von der Besatzung sieht, ist es aus! Er ging das Wagnis ein, sich hinzustellen und mit den Füßen auf zwei fingerschmalen Ästen zu balancieren. »Hierher, verflucht!«, schrie er aus Leibeskräften. »Wer immer der Fährmann ist, ich biete dir … Reichtümer! Ich habe Gold!«, log und lockte er.
Das Boot änderte den Kurs, umschiffte einen kleineren Wasserfall; der Bug mit dem Rammsporn wies auf Tirîgon. Zweihundert Schritt trennten die beiden.
Schräg unterhalb des Albs verwirbelte das Wasser, dann erhob sich eines der Fischscheusale aus dem Meer und schwang sich mit einem Sprung aus dem Meer heraus. Es hatte einen dick gepanzerten Rücken, aus dem die drei Schwanzflossen wuchsen. Die kalten Tieraugen hielten ihn fixiert, das lippenlose, gewaltige Maul öffnete sich.
Wenn ich mich nicht ducke, wird er mich … Tirîgon wollte sich nach unten beugen, da sah er eine weitere Bestie, die senkrecht von unten heranschoss.
Tirîgon drückte sich mit einem lauten Schrei von den beiden Ästen ab und sprang, so hoch er es vermochte. Er zog die Beine dicht an seinen Leib, und doch streifte ihn das Scheusal, das unter ihm durchsprang, mit den Rückenflossen an den Stiefelsohlen.
Dadurch wurde der Fall des Albs kreiselnd abgelenkt, was wiederum dazu führte, dass das von unten heranfliegende zweite Ungeheuer knapp an ihm vorbeischnappte. Tirîgon entging dem Tod äußerst knapp.
Dafür endete sein wilder Flug nun in tobendem Wasser.
Er schlug ein und wühlte sich mit dem Schwert in der Hand unverzüglich nach oben, wo sich der breite Bug des Schiffes zeigte.
Tirîgon bekam den Rammsporn zu fassen und ließ sich mitziehen. »Ein Seil«, schrie er hinauf, da er ahnte, dass die Scheusale ihr widerspenstiges Futter noch nicht aufgegeben hatten. Er befand sich in ihrem Element, und darin waren sie ihm hoffnungslos überlegen.
Da ihm niemand ein Tau zuwarf, suchte Tirîgon in der runenverzierten Eisenverkleidung nach Fugen, an denen er sich hinaufhangeln konnte. Die Lücken, die er ausmachte, reichten aus, um abwechselnd Schwert- und Dolchklinge hineinzuzwängen.
Mit enormer Anstrengung arbeitete er sich auf diese Weise nach oben, bis er sich mit brennenden und zitternden Armen über die Reling rollte und aufs Deck fiel, wo er keuchend innehielt und sich umblickte. Geschafft!
Niemand erwartete ihn, weder Bewaffnete noch eine Mannschaft noch ein Kapitän. Das zeichengeschmückte Segel wurde durch bunt
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