Die Legenden der Albae: Dunkle Pfade (German Edition)
Stoff, der um den Griff gewickelt war. Keine Steine mehr und keine Waffe!
Firûsha sah, dass Crotàgon seinen beiden Gegnern gegenüberstand und nach einer Lösung suchte, um sie zu besiegen, ohne sie berühren zu müssen. Ich bin eine Sängerin, fuhr es ihr erneut durch den Kopf. Ich sollte die Talente nutzen, die ich beherrsche. Sie öffnete den Mund und sang eine Melodie, die sie geradewegs erfand. Die Töne drangen rein und klar aus ihrer Kehle, die Höhle trug ihre Stimme weit und verstärkte sie indes. Ihr sollt stehen bleiben und lauschen, damit ich …
Doch dann geschah etwas Unerwartetes: Der Ukormorier griff unbeeindruckt nach ihr!
Und ehe sich Firûsha in Sicherheit bringen konnte, hatte er ihren Arm gefasst und zog sie zu sich, griff in ihre schwarzen Haare, um die Albin niederzuringen.
Sie glaubte, ein Brennen am ganzen Körper zu spüren. Er hat mich berührt! Ich werde mich auflösen wie mein Schuh!
Da sie nun ohnehin verloren war, schlug sie kreischend um sich und sprengte seinen Griff. Wutlinien schossen über ihr Gesicht. »Du raubtest mir die Unendlichkeit. Dafür töte ich dich!«
Mit zwei Fingern stieß sie dem Ukormorier zwischen den schützend erhobenen Armen in die Augen, trat ihm in den Schritt und schickte ihn zu Boden. Keuchend kniete er vor ihr, da schlug sie mit beiden Fäusten gleichzeitig gegen seine Ohren und versetzte ihm einen weiteren Kniestoß mitten in die Greisenfratze.
Er sank nach hinten, wollte wegkriechen.
Das lasse ich nicht zu! Firûsha sprang auf ihn, legte ihre zarten, weichen Hände um den alten Hals und presste zu. So fest sie vermochte. »Du hast mir mein ewiges Leben gestohlen!«
Der benommene Ukormorier konnte sich nicht mehr gegen die Albin wehren und röchelte, schlug ihr noch einmal schwach in die Seite und starb endlich den Erstickungstod.
»Dein Tod heißt Firûsha«, spie sie voller Abscheu über die Lippen und erhob sich.
Sie sah zu Crotàgon, der versuchte, sich nicht von den Feinden berühren zu lassen. Es erinnerte an das kindliche Fangspiel.
Ich habe einen Kampf gewonnen. Tirîgon würde staunen, hätte er mich eben gesehen. Firûsha machte einen Schritt nach vorn, ging zu Hopiashs Leiche und zog mit Mühe den Speer heraus. »Warte, ich helfe dir.« Sie musste beinahe lachen, so komisch erschien ihr es: Sie eilte einem hünenhaften Krieger zur Unterstützung entgegen.
»Bleib!«, rief Crotàgon. »Sie dürfen dich nicht …«
»Sie haben mich bereits erwischt. Es macht nichts mehr.« Firûsha rieb sich den Arm, der sich kalt anfühlte. Ein Büschel langer schwarzer Strähnen fiel ihr aus und vor die Füße. »Wohlan, ihr Bestien. Euer Tod heißt Fir…«
Abrupt wich alle Kraft aus ihr. Sie verdrehte die Augen und stürzte nieder.
Ishím Voróo (Jenseitiges Land), Dsôn Sòmran, Dsôn, im nördlichen Ausläufer des Grauen Gebirges, 5427. Teil der Unendlichkeit (6241. Sonnenzyklus), Frühling
Aïsolon saß in der Dachkammer auf einer Truhe, umgeben von schwelenden Balken, dem Geruch von gelöschtem Feuer und frischem Blut. Das Duftwasser, das Ranôria benutzte, konnte kaum dagegen ankommen, aber es lag in der Luft. Er hatte es ihr geschenkt.
Sein Blick war auf die Leiche gerichtet, die unter der Dachluke lag, die Augen offen zum grauen Himmel gerichtet. Der Nebel hatte sich hoch über der Stadt vor die Gestirne geschoben und verwehrte der Toten den Lichterglanz.
Leise knackte das angebrannte Holz, ein verkohltes Stück sprang mit einem Knistern ab und fiel auf die Bohlen.
Es verging, wie auch Ranôria vergangen war.
Aïsolon wollte aufspringen und schreien, dann weinen, im nächsten Atemzug sein Schwert in den Leib des unbekannten Mörders rammen, ihn aufschlitzen und ihn vom Wall schleudern. Mit dem nächsten Atemzug verließ ihn die Kraft, und er wollte nur stumm neben ihr ausharren und sich dem Schmerz hingeben. Er durchlitt ein Gefühlsgewitter.
Ranôria war vom Regenwasser gewaschen worden, es gab keine Blutspuren in ihrem Gesicht. Aber die Wunden und Male in ihrem Leib ließen keinen Zweifel zu, dass es einen Kampf gegeben hatte; dass man sie verfolgt hatte; dass man ihr gezielt das Leben genommen hatte.
Ihr Fluchtweg ließ sich halbwegs zurückverfolgen.
In einer abgestürzten Transportplattform auf dem Grund des Steinbruchs fanden Gardisten die zerschmetterten Leichen zweier Albae: die des Bedieners und eines Passagiers. Doch auch ihre Verletzungen rührten nicht allein vom heftigen Aufprall. Sie waren ermordet worden,
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