Die Legenden der Albae: Dunkle Pfade (German Edition)
ihn durch den Wald bis zum schwarzen Haus, dessen dicke Holzstämme sich lückenlos aufeinanderfügten.
Doch aus der Nähe öffnete sich ein Anblick, der die meisten denkenden Lebewesen veranlassen würde, schreiend das Weite zu suchen: Das Dach bestand aus Knochenplättchen, dünn geschnitten und gegen die Verwitterung mit einer dünnen Lackschicht überzogen. Die umlaufende Rinne war aus Gebein, das Fallrohr, sogar die Halterungen bestanden aus bearbeiteten Unterkiefern.
Das ist sagenhaft! Wohin Tirîgon blickte, Tossàlor hatte sich sein Zuhause mit den sterblichen Überresten verschönert, von großen abstrakten Gemälden auf Hautleinwand bis hin zu kleinen und großen Skulpturen auf dem Dach. Es wäre nicht mit Geld zu bezahlen.
Sie umrundeten das Haus, um das herum die geborstenen Gebeine der verschiedensten Wesen lagen. Es schien in der Tat der Abfall des Künstlers zu sein, oder Material, das er für untauglich befunden hatte.
Über eine gerade Treppe aus Knochenstücken schritten sie hinauf zur kleinen Veranda.
Esmonäe pochte gegen die Tür, deren schwarzes Holz mit weißen Ornamenten versehen war. »Tossàlor, ich bin es«, rief sie. »Esmonäe.«
Tirîgon nahm sich vor, seine Gefährtin bei Gelegenheit nach der Verbindung zwischen den beiden zu fragen. »Lass mich vor«, bat er sie und schob sich vor sie.
Es klickte mehrmals, dann öffnete sich der Eingang.
Vor Tirîgon stand ein Alb in einer purpurfarbenen Robe, deren Ärmel in die Höhe gestreift waren. Die Unterarme und Hände troffen vor Blut, feinere Spritzer waren auf der Brust und im Gesicht zu erkennen. Die Haare lagen unter einer bestickten schwarzen Haube, eine blassgrünliche Locke spitzte hervor. Der Künstler mochte es offenbar, seine Haarfarbe zu wandeln. Die Blicke aus den dunklen Augen musterten zunächst Esmonäe.
»Eine Freude, dich zu sehen«, sagte er lächelnd. Dann wandte er sich an Tirîgon, und das Lächeln erlosch. »Und du? Was wünschst du?«
»Ich grüße dich.« Er fühlte sich wie ein Tier, das zur Schlachtung gemustert wurde. »Esmonäe war so freundlich, mich zu dir zu bringen.«
Schlagartig grinste Tossàlor wieder. »Zu freundlich. Sie könnte mit dir ohnehin auf lange Sicht nichts anfangen. Mir dagegen gehen gerade die Materialien aus.« Er sah an ihm vorbei zur Albin. »Dass sich das Objekt selbst vorstellt, ist eher ungewöhnlich. Und dazu auch noch freiwillig. Das nennt man wahren Kunstverstand.«
Tirîgon machte einen Schritt zurück, legte die Hand an sein Schwert. »Es verhält sich nicht ganz so.«
Esmonäe lachte. »Nein, ich bringe dir keine milde Gabe. Sein Name ist Tirîgon, und er gehört zu mir. Er ist auf der Suche nach dem Ausgang aus Phondrasôn.«
»Weil er unschuldig ist«, setzte Tossàlor hinzu, sein Antlitz verfiel zurück in den alten Ausdruck. »Wie originell. Das ist wahrlich ein guter Grund zurückzuwollen. Viel Erfolg.« Er machte Anstalten, die Tür zuzudrücken.
Tirîgon stellte den Fuß in den Spalt. »Ich habe eine Karte, aber es fehlt ein entscheidender Teil, fürchte ich«, sagte er und suchte die Karte heraus. »Wenn du mir sagst, wie ich aus dieser Welt herausfinde, gebe ich dir alles, was du verlangst, sobald wir in Dsôn sind. Meine Familie ist einflussreich.«
»Alles, was ich verlange?« Wieder begutachtete ihn Tossàlor. »Schön. Deine vierte rechte Rippe, dein Oberschenkelknochen, deine rechte Hand und«, er nickte zufrieden, »deine Augenlider. Den Rest magst du behalten. Ich bin sanft beim Auftrennen und geschickt beim Entnehmen. Sind wir im Geschäft?« Er grinste dämonisch.
Er meint es ernst! Tirîgon schluckte. »Ich fürchte …« Er wusste nicht, was er sagen sollte.
»Ah, der Preis ist dir zu hoch. Nun, was gibst du mir aus freien Stücken?« Dann lachte Tossàlor. »Oh, ein ungewolltes Wortspiel. Aus freien Stücken. Das muss ich mir merken.«
Tirîgon atmete tief ein und sah zu Esmonäe, die mit den Schultern zuckte. »Ich kann dir Geld …«
»Was soll ich mit Geld?«, schnarrte der Künstler. »Gib mir etwas Einzigartiges, aus dem ich etwas noch Einzigartigeres erschaffen kann! Dann führe ich dich hinaus.«
»Die Bestie«, kam es blitzartig über Tirîgons Lippen, bevor er richtig nachdenken konnte. Aber als er Interesse in Tossàlors Augen sah, wähnte er sich auf dem richtigen Weg. »Diese Bestie, die das Tal beschützt – wäre sie etwas Einzigartiges?«
Der Alb schürzte die Lippen, er überlegte und neigte den Kopf langsam. »Aber es
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