Die Legenden der Albae: Dunkle Pfade (German Edition)
nicht antworten. Die Infamen, Samusin und Inàste müssen uns beistehen, sonst werden wir diese Aufgabe nicht meistern.«
Phodrôis dachte nach. »Nomirôs erwischte es. Bleiben sechs von uns. Möglicherweise sind sie nicht weit von uns entfernt. Es wäre für das gemeinsame Überleben entscheidend, dass wir die anderen fünf fänden.«
O ja, das wäre, was sie begehrte. »Ich brenne darauf, Wènelon gegenüberzustehen«, sprach sie grollend. Nachdem sie ein wenig zur Ruhe gekommen war, fühlte sie die Schmerzen im Gesicht stärker, die von Aïsolons Verhör herrührten.
»Du solltest ihn nicht dafür verdammen, dass er uns verriet. Ich denke, dass alle eingebrochen wären. Außer dir.« Er bedachte sie mit einem entschuldigenden Blick. »Die Lösung, die uns der Statthalter anbot, ist vergleichsweise milde.«
»Was redest du da?«, empörte sich Acòrhia. »Er handelte mit seinem Vorgehen gegen sämtliche Gesetze!«
» Wir handelten gegen sämtliche Gesetze, weil wir uns bestechen ließen«, hielt Phodrôis dagegen. Er schien geradezu erleichtert zu sein, eine Strafe erhalten zu haben. »Weil wir einen Mord deckten, dessen Sinn niemand in Dsôn versteht.«
»Hätten wir die Forderungen des Maskierten nicht erfüllt, wären wir tot. Wie Sémaina und die Leute in der Dachkammer oder in der Plattform.«
Die Geschichtenweberin verachtete den Alb für seine Feigheit. »Ohne Wènelon und sein gestammeltes Geständnis könnten wir beide in Dsôn sitzen, einen Wein trinken und uns an den Tioniummünzen erfreuen, die wir erhalten haben.«
Phodrôis’ Lippen wurden zu schmalen Strichen. »Es kam anders«, sagte er leise uns legte die Hände auf die Oberschenkel. »Ich für meinen Teil möchte alles tun, um zurückzukehren.«
»Ich auch.« Sie lächelte. Und wie! »Es wird gelingen.«
»Das wird es«, bekräftigte er arglos. »Ich hoffe, Aïsolon gerät wegen unseres Verschwindens in Bedrängnis.« Nach kurzem Schweigen schüttelte er den Kopf. »Nein, lieber doch nicht. Es würde nichts bringen. Es ist für alle das Beste, wenn wir die Drillinge finden und in aller Heimlichkeit zurückkehren.«
»So wird es sein.« Acòrhia zeigte auf ihr Gewand, das im Wasser lag. »Wärst du so freundlich, mein Kleid herauszunehmen und auszuwringen? Ich möchte mich nicht vor dir entblößen.«
Phodrôis lachte. »Ich könnte den Vorschlag machen, so lange im Gang zu warten.« Er erhob sich und ging zur Quelle, um den Stoff zu bergen. Er beugte sich nach vorn, zog das Gewand heraus und schlug es mehrmals gegen den glatten Fels. »Ich kann dir verraten, dass es nicht mehr ganz so stinkt, doch verschwunden ist der Geruch nicht. Diese Bestienpisse sollte man im Kampf einsetzen.«
»Es tut mir leid, dass du dir meinetwegen die Finger schmutzig machst.« Sie verfolgte, wie er die Kleidung zwischen den Händen zu einem Wulst drehte, um das Wasser aus dem Stoff zu drücken.
Darauf hatte Acòrhia gewartet.
Sie schlich sich an, stellte sich hinter ihn und stach Phodrôis von oben mehrmals zwischen Hals und Schlüsselbein durch das Fleisch. Sein Blut spritzte aus der klaffenden Wunde, und als er sich wehren wollte, trieb sie ihm das Knie gegen die Schläfe, sodass er bewusstlos niedersank. Der Lebenssaft mischte sich mit dem Quellwasser und fiel auf den roten Steinen nicht weiter auf.
»Dein Tod heißt Acòrhia«, raunte sie keuchend. »Dein Sterben schenkt mir Leben.«
Sie durchsuchte den warmen Leichnam und fand das lederumwickelte Fläschchen mit dem Antidoton. Ich preise die Infamen!, jubelte sie innerlich und umschloss es in der Faust. Vorerst war sie vor dem Gift gerettet.
Mitleidslos zerrte Acòrhia den Toten an den Rand der Höhle und nahm ihm sein Obergewand, wusch die frischen Blutflecken rasch aus und schlüpfte in seine Kleidung. Der Stoff stank nicht wie ihr von Pisse durchtränktes Kleid. Einzig den Hosensaum schnitt sie mit dem Dolch ab.
Danach lud sie das Essbare aus ihrem Rucksack in seinen und eignete sich Phodrôis’ Gepäck sowie seinen Dolch an. Ausgestattet mit genug Vorräten, zwei Lampen und dem Gegenmittel setzte sie sich in Bewegung – da blieb ihr rechter Fuß hängen und schleifte einen kleinen Gegenstand über die Steine.
Acòrhia erkannte ein weiteres Fläschchen, dessen Lederband sich an der Stiefelspitze verfangen hatte.
Das ist ja meines! Es musste doch in ihrem Rucksack verstaut gewesen und beim Umpacken herausgefallen sein. Sie hob es auf und hängte es sich um den Hals. Die Götter sandten
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