Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege
jeweils vier Männern hatten das Lager schon vor Stunden verlassen. Sie hatten sich weit von dem ausgetretenen Weg entfernt, ehe sie nach Norden zu den Booten liefen, die sie ein paar Tagesmärsche flussabwärts zurückgelassen hatten, oder den längeren Weg direkt zu den Schiffen in Angriff nahmen, die in der Flussmündung des Shorth
vor Anker lagen. Sie hatten wichtige Informationen aus dem Tempel mitgenommen. Es war ein Risiko, aber da nicht klar war, mit wem sie es zu tun hatten und wo die Feinde standen, war Yron der Ansicht, dass ihm nichts anderes übrig blieb. Die wichtigsten Informationen sollte die Gruppe überbringen, zu der Erys gehörte.
Als er die Männer, die noch da waren, einwies, hatte er nicht versucht, sie zum Narren zu halten, sie anzulügen oder irgendetwas zu beschönigen. Sie mussten so lange ausharren, wie sie konnten, und sich darauf gefasst machen, für das wichtige Ziel zu sterben. Die Elfen, mit deren Angriff sie rechnen mussten, würden nicht in großer Zahl kommen, aber sie waren extrem gefährlich. Er hatte seine Männer gewarnt, sich nicht von diesen schnellen, anmutigen Kämpfern überrumpeln zu lassen.
Außerdem mussten sie völlig ohne magische Unterstützung auskommen. Auch Stenys war bereits mit einer Gruppe von Läufern fortgeschickt worden. Seine magischen Fähigkeiten wurden eher gebraucht, um die Beute zu schützen, und sollten nicht dafür verschwendet werden, am Tempel das Unausweichliche hinauszuschieben.
Yron machte mit Ben-Foran eine letzte Runde durch die eilig aufgebauten Verteidigungsanlagen: Fallen mit Dornen, die vielleicht ein wenig zu flach waren, undurchdringliche Holzstapel, um die Angreifer auf Wege zu zwingen, die besser überschaubar waren, und einige Schlingen, die sonst dazu dienten, Tiere zu fangen; sie waren auf den Zugängen zum Vorplatz ausgelegt worden. Yron war überrascht, dass sie nicht schon während der Nacht angegriffen worden waren. In gewisser Weise war es ein Segen. So hatten sie für sich selbst und die Läufer kostbare Zeit gewonnen. Immer vorausgesetzt, die Läufer
waren nicht schon längst zu Tode gehetzt worden. Wenn er ehrlich war, dann rechnete er damit, dass höchstens eine der Gruppen ihr Ziel erreichte, und die Chancen standen für Erys’ Gruppe am besten.
»Ihr hättet mitgehen sollen, Ben«, sagte Yron. Er empfand für den jungen Leutnant, der sich geweigert hatte, seinen kommandierenden Offizier zu verlassen, einen viel größeren Respekt, als er jemals zugeben würde.
»Ich bin Soldat«, erklärte Ben-Foran. »Ich bin nicht sehr geschickt, bestenfalls unbeholfen, aber ich kann kämpfen. Meine Fähigkeiten können wir hier besser gebrauchen.«
»Das sagt Ihr immer wieder.«
»Dann hört auf, mich daran zu erinnern, Hauptmann.« Er trank einen Schluck aus seinem Teepott.
»Ihr hättet Euch entscheiden können zu überleben.«
»Ich habe mich für das Leben als Soldat entschieden«, sagte Ben-Foran. »Das schließt auch den Tod mit ein. Es ist ein Berufsrisiko.«
Yron bückte sich und überprüfte eine Schlinge. Er fragte sich, ob Ben-Foran wirklich so gelassen war, wie er tat. Bei den Göttern, Yron war es nicht, doch andererseits kannte er den Feind viel besser.
Die Schlinge war ausgezeichnet gelegt. Er rechnete nicht damit, dass sie wirklich jemanden fing, doch sie würde die Elfen aufhalten und zum Nachdenken bringen. Er leerte seinen Teepott.
»Sehr gut«, sagte er. »Wer hat sie gelegt?«
»Das war ich.«
Yron lächelte. »Eigentlich war es eine Zeitverschwendung, Euch das alles beizubringen, oder? Wem wollt Ihr Euer Wissen weitergeben? Irgendeiner untergeordneten Gottheit im Nachleben? Bei den Göttern, ich hätte Säufer
werden sollen. Es ist doch alles viel einfacher, wenn man besoffen ist.«
»Lehren ist niemals eine Zeitverschwendung«, sagte Ben-Foran. »Man weiß ja nie, wann es Zeit wird zu sterben.«
»Keine Zeitverschwendung, nein? Dann kommt mal her, seht Euch das hier an und lernt. Es sei denn, Ihr habt etwas Wichtigeres zu tun.«
»Ich habe keine dringenden Termine, Hauptmann«, sagte Ben.
Yron führte ihn vom Vorplatz zur kleinen natürlichen Lichtung, auf der sie die Leichen der Elfen nach dem Angriff auf den Tempel abgelegt hatten. Er hörte, wie Ben scharf einatmete.
Es war noch nicht einmal vier Tage her, dass sie dort neun Leichen aufgestapelt hatten. Jetzt lagen dort nur noch einige einzelne Knochen und ein paar Fetzen Kleidung. Alles andere war verschwunden.
»Der Wald holt sich alles
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